Galerie schlägt Programmkino

PROGRAMMVIELFALT Der Göttinger Stadtrat stimmt für den Verkauf der leer stehenden Baptistenkirche an einen Bielefelder Galeristen. Der will ein Atelier- und Galeriehaus einrichten. Dabei hatten Filmfreunde bereits einen Investor gefunden, der in der Kirche ein Programmkino finanzieren wollte

Wir sind enttäuscht, dass eine großartige Chance für Göttingens Kulturszene fahrlässig versäumt wurde

STELLUNGNAHME DES GÖTTINGER KULTURVERBUNDES

Als Anfang 2011 mit dem „Stern“, dem „Sternchen“ und dem „Cinema“ gleich drei von vier Göttinger Kinos schlossen, die mehr oder weniger anspruchsvolle Filme gezeigt hatten, war der Jammer groß. Die Parteien beklagten den Verlust von Kultur und die Stadtverwaltung sagte der Bürgerinitiative Filmkunstfreunde e.V., die sich auf die Suche nach Räumlichkeiten für ein neues Programmkino machte, Unterstützung zu.

Mit der ehemaligen Baptistenkirche wurde der Verein schließlich fündig. Die Stadt wollte die seit Langem leer stehende Immobilie abstoßen. Und die Filmkunstfreunde präsentierten einen Investor, der sich bereit erklärte, das Gebäude umzubauen und den alten Kirchensaal kinotauglich herzurichten.

Die Stadt schrieb derweil die Kirche zusammen mit einer nebenan stehenden alten Realschule zum Verkauf aus. Ein Bieterverfahren wurde eröffnet – mit „nicht zu durchschauenden Bewertungskriterien“, wie Linke-Ratsherr Gerd Nier kritisiert. Rund ein Dutzend Interessenten reichten Gebote und Nutzungsvorschläge ein. Vier davon kamen aus der örtlichen Kulturszene – unter anderem auch vom Göttinger Kulturverbund, dessen Konzept im Kern Kino in der Kirche und Übungsräume für Musiker und Bands in der Schule vorsah.

In nicht öffentlicher Sitzung entschied der Stadtrat am vergangenen Mittwoch mit großer Mehrheit von SPD, CDU, FDP und Grünen jedoch, das Ensemble an einen Bielefelder Galeristen zu verkaufen – nur die Linke und die Piraten stimmten dagegen. Der künftige Besitzer soll mit 1,2 Millionen Euro den höchsten Preis geboten haben.

Er will nach Vorbild des Bielefelder Artcenters ein Atelier- und Galeriehaus einrichten und die Klassenräume an Kulturschaffende, Kreativwirtschaftler und Therapeuten vermieten. Ein Kino ist nicht vorgesehen, allenfalls soll die Kirche für Veranstaltungen und Gastronomie genutzt werden.

Der Kulturverbund erklärte den Mittwoch zum schwarzen Tag für die Göttinger Kultur. „Wir sind enttäuscht, dass eine großartige Chance für Göttingens Kulturszene fahrlässig versäumt wurde“, heißt es in einer Stellungnahme. Man kenne „kein einziges rationales Argument, dass diese unkluge Entscheidung rechtfertigen könnte“.

Von einem „Schlag ins Gesicht der von Göttinger Bürgern getragenen Kulturszene“ spricht Filmkunstfreunde-Vorstand Matthias Sonnenburg. Einen vom Verein eingereichten und von fast 3.000 Bürgern unterschriebenen Einwohnerantrag hatte der Verwaltungsausschuss unmittelbar vor der entscheidenden Ratssitzung für unzulässig erklärt, weil formale Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Filmkunstfreunde wollten darin die künftige Nutzung der ehemaligen Baptistenkirche mit einer Zweckbindung für Kino und Kultur versehen.

Kino in der Kirche ist nun in weite Ferne gerückt, ganz ausgeschlossen ist es jedoch nicht. Denn bevor der Kaufvertrag unterzeichnet wird, soll er noch einmal vom Rat überprüft werden. Nach wie vor komme es darauf an, ob eine Zweckbindung für Kino und Kultur beschlossen werde, sagt Sonnenburg. Dann könne Kino in der Kirche eventuell doch noch möglich werden.  REIMAR PAUL