: Ins Netz gegangen
Und schon wieder scheint die deutsche Politik eine wichtige Entwicklung zu verschlafen: Mit dem Ausbau der Datenübertragung bei DSL entstehen gerade die Medienmonopole der Zukunft
VON JÜRGEN BISCHOFF
„Wenn wir nicht aufpassen, dann haben wir bald das Fernsehmonopol, von dem Leo Kirch damals geträumt hatte.“ In diesem Alarmruf kulminierte ein Szenario, das Hans Hege, Direktor der Berlin-Brandenburger Medienanstalt MABB, vergangenen Donnerstag den Zuhörern auf dem jährlichen Symposium der Deutschen TV-Plattform in Berlin präsentierte. Die Rede war von Unity, dem großen Unbekannten des deutschen Medienmarkts.
Selbst vielen Experten ist die Marktpotenz von Unity – dem Konzern hinter den Kabelnetzbetreibern Ish, Iesy und Telecolumbus sowie hinter dem neu aufgetauchten Rechteverwerter Arena – noch nicht so ganz klar. Dabei ist es laut Hege nicht unwahrscheinlich, dass Unity auch noch die Aktienmehrheit an Premiere aufkaufen und somit urplötzlich den deutschen Pay-TV-Markt beherrschen könnte. Und nicht nur das: Auch die Satellitenverbreitung von Fernsehprogrammen stünde dann unter einem bis dahin unbekannten Einfluss.
Noch scheint der Satellitenmarkt frei und ungeregelt. Über Astra, dem marktbeherrschenden Satellitensystem, darf jeder senden, der eine gültige Fernsehlizenz vorweist und für einen Transponder zur Signalübertragung bezahlt. Doch vor ein paar Tagen wurde in einem Gerichtsverfahren in Düsseldorf bekannt, dass Premiere Einfluss auf die Programmverteilung via Astra nehmen könnte. Hintergrund: Astra hatte vor gut einem Jahr das digitale Sendezentrum von Premiere in Unterföhring übernommen. Aber in dem Kaufvertrag hatte sich Premiere ein Mitspracherecht einräumen lassen, welche Programmveranstalter in Zukunft zumindest auf den digitalen Set-Top-Boxen, die Premiere seinen Nutzern zur Verfügung stellt, auch zu sehen sind. Freie Programmwahl der Zuschauer nur noch nach Gusto des Münchener Pay-TV-Senders. Und weiter: Mittelfristig wollen RTL und ProSiebenSat.1 ihre Programme auch nur noch verschlüsselt und gegen Entgelt über Astra in die Wohnzimmer strahlen lassen.
Dabei sah es zu Anfang des Jahres noch so aus, als sei der Fisch endlich gegessen. Nach zehn Jahren der Umbrüche, der hektischen Digitalisierung, schien alles in den angestrebten geordneten Bahnen verlaufen zu können. Allenfalls kleine Korrekturen waren noch zu erwarten.
Doch der Fisch wird neu serviert. Jetzt treten schlagartig Probleme ans Tageslicht, die die Medienpolitik lange erfolgreich ausgeblendet hat. Die angestammte und bewährte Trennung von Rundfunkveranstaltern und Netzbetreibern ist plötzlich aufgehoben: Kabelnetzbetreiber besorgen sich Inhalte – vom Spielfilm bis zur Bundesliga – und wollen sie an die Endkunden verteilen. Die Deutsche Telekom will demnächst die Leistungsfähigkeit des DSL-Netzes um das 50fache steigern, um dann per Telefonleitung alle möglichen Dienste, insbesondere Fernsehangebote, in alle Haushalte zu übertragen.
Der ehemalige Kabelmonopolist, den die EU noch vor ein paar Jahren zum Verkauf seiner Breitbandnetze gezwungen hat, steht wieder voll im Saft: Noch immer gehören ihm 90 Prozent aller Endbuchsen im Telefonnetz. Und die Telekom hat die Online-Rechte an der Fußball-Bundesliga. Ist das noch Rundfunk, was die Telekom da machen will? So stellt sich die akute Frage an die Medienpolitik. Aber die glänzt derzeit durch Abwesenheit.
IP-TV heißt das Schlüsselwort, Fernsehen als Datenpaket gemäß dem Internet-Protokoll. Wenn sich zwei Medien so verbinden – wer hat da noch was zu regeln? Wer kann da noch Rundfunklizenzen erteilen? Mit klassischem Rundfunk, wie ihn die Staatsverträge zwischen den Bundesländern definieren, hat das kaum mehr etwas zu tun. „Der Begriff des Plattformbetreibers kommt zum Beispiel in keinem Landesmediengesetz vor“, sagt Reinhold Albert, Direktor der Landesmedienanstalt Niedersachsen. Ausgerechnet hier müsste aber jetzt reguliert werden, damit der freie Zugang von Programmanbietern zu neutralen Signaltransporteuren und der freie Zugang der Zuschauer zu allen Angeboten gesichert werden kann.
Zu allem Überfluss versucht die Europäische Kommission nun auch noch, sich in die Vergabe von terrestrischen Frequenzen einzumischen. Sie will diese zur reinen Handelsware machen. Bald soll es private Frequenzbesitzer geben, die mit ihren Kanälen vom Taxifunk bis zu Handy-Diensten machen können, was sie wollen – und bei nachlassendem Interesse auch an den Meistbietenden verhökern.
Das Dilemma der deutschen Medienpolitik kommt damit voll zur Geltung: zersplittert in föderaler Zuständigkeit verschläft sie die anstehenden Probleme und wird zum Spielball im Powerplay von Industrie- und Brüsseler Interessen – wenn diese nicht ohnehin deckungsgleich sind.