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Archiv-Artikel

BERLUSCONIS HÄRTE GEGEN RASSISTISCHEN MINISTER IST PURER SCHEIN Strategischer Antirassismus

Der Karikaturenstreit hat ein erstes politisches Opfer in Europa gefordert: Nachdem am Freitag bei der versuchten Erstürmung des italienischen Konsulats im libyschen Bengasi elf Menschen erschossen worden waren, reichte am Samstag Italiens Minister für Verfassungsreformen, Roberto Calderoli, seinen Rücktritt ein. Er wollte nicht gehen, er musste, denn Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte ihn ultimativ zum Rückzug aufgefordert.

Fast ist man versucht, der italienischen Regierung zu gratulieren. Hart und konsequent hat sie den Provokateur isoliert. Nicht genug damit: Außenminister Gianfranco Fini besuchte noch am Samstag die große Moschee in Rom, um zu zeigen, wo die Regierung wirklich steht: auf der Seite derer, die den Dialog wollen, nicht die Konfrontation.

Doch Berlusconis Härte gegen Calderoli und seine Partei, die Lega Nord, ist purer Schein. Bis vorgestern hatte der Regierungschef seinem Koalitionspartner so ziemlich alles durchgehen lassen. Und auch zu Calderolis Karikaturen-Provokation war Berlusconi zunächst bloß eingefallen, das sei „nicht die Linie der Regierung“. Als der Lega-Minister in einer TV-Sendung vergangene Woche eine palästinensische Journalistin mit den Worten angekübelt hatte, die „gebräunte Frau“ solle gefälligst „zurück zu den Kamelen“ gehen, kam gleich gar keine Reaktion aus dem Regierungslager.

Hätte Berlusconi substanziell etwas gegen Calderolis Positionen – er hätte schon lange mit der Lega Nord brechen müssen. Denn dort gehören Rassismus und Islamphobie zur Parteilinie. Es war das Aufmerken im Ausland, das Berlusconi zu Härte zwang, weil er um die Isolierung Italiens fürchtete. Hinzu kam die Sorge, dass ein Italien am internationalen Pranger sich im anstehenden Wahlkampf schlecht machen könnte.

Die Fortsetzung der Koalition mit der Lega aber bleibt ausgemachte Sache – und so darf die Lega auch weiterhin mit rüdem Rassismus Politik machen, solange es im Ausland niemand merkt. Wenn doch, steht das Drehbuch schon: Berlusconi „reagiert hart“, ein Lega-Minister tritt zurück, und Minister Fini besucht eine Moschee. MICHAEL BRAUN