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Archiv-Artikel

Vom Internet-Phänomen zur realen Gefahr

ISLAMISCHE DSCHIHAD UNION Trotz anfänglicher Zweifel, die usbekische Terrororganisation existiert doch

Der Kontakt zu IJU war zufällig, die vier Angeklagten wollten einfach Dschihad machen, egal wo

BERLIN taz | Da rieben sich selbst Sicherheitsexperten die Augen. Ausgerechnet eine bislang völlig unbekannte usbekische Terrorgruppe namens IJU (Islamische Dschihad Union) sollte nun der deutsche Staatsfeind Nummer eins sein, so gefährlich wie sonst nur al-Qaida? Das klang schon mehr als seltsam. Doch die Bundesanwaltschaft war sich sicher: Die drei jungen Männer um den Ulmer Fritz Gelowicz hatten - als deutsche Zelle der IJU - den bislang schwersten Terroranschlag Deutschlands geplant. Im September 2007 wurden sie im Sauerland festgenommen.

Die deutsche Presse schrieb dann auch konsequent von der „Sauerland-Gruppe“. Zu dubios erschien den Journalisten wohl diese Terrorgruppe IJU, über die damals nur sehr wenige Informationen aus Geheimdienstkreisen existierten. So habe die IJU ihre Wurzeln in Usbekistan, agiere nun aber aus aus dem Norden Pakistans. Dort habe sich im Jahr 2002 die kleine IJU mit 100 - 200 Kämpfern von der deutlich größeren IBU (Islamische Bewegung Usbekistans) abgespalten. Die IJU wollte sich nicht auf den Umsturz in Usbekistan und Pakistan beschränken, sondern sich im Bündnis mit Al Qaida am weltweiten Dschihad beteiligen.

Doch schnell gab es ernsthafte Zweifel, ob die IJU überhaupt existiert. Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan Craig Murray bezeichnete die IJU als „Inszenierung“ des usbekischen Geheimdienstes, die die dortige Unterdrückung rechtfertigen soll. Der baden-württembergische Verfassungsschutz überlegte öffentlich, ob es sich bei der IJU nur um ein „Internet-Phänomen“ handeln könnte.

War also die ganze Festnahme im Sauerland nur eine Geheimdienst-Show? Das war nun auch wieder nicht stimmig. Immerhin gab es ja die vier jungen Männer, die mit großem Eifer über Monate hinweg Grundstoffe für den Bombenbau organisierten. Keiner von ihnen behauptete, er sei unschuldig in Haft. Dass am Rande des Geschens ein V-Mann des türkischen Geheimdienstes bei der Zünder-Beschaffung half, zeigt nur wie gut die Gruppe um Gelowicz über Monate hinweg staatlich überwacht wurde.

Für eine Verurteilung der Sauerland-Gruppe war der IJU-Hintergrund ebenfalls nicht erforderlich. Mit mindestens drei Mitgliedern hätte man die Gruppe als eigenständige terroristische Vereinigung werten können.

Dann aber begannen die Angeklagten auszupacken und bestätigten die Existenz ihrer usbekischen Hintermänner. Eher zufällig seien sie bei der IJU in Pakistan gelandet. Sie wollten einfach nur „Dschihad machen“, egal wo. Und als die IJU-Führer entschieden, dass sie in Deutschland am meisten Wirkung entfalten können, seien sie dieser Anweisung gefolgt.

Der britische Botschafter nannte die IJU eine Inszenierung der Geheimdienste

Nach den Geständnissen musste kaum etwas an der Anklage korrigiert werden: Die Sauerland-Gruppe war tatsächlich die deutsche Zelle der IJU. Einerseits konnten sich die Ermittler also bestätigt sehen. Und doch relativierte die Schilderung von Gelowicz und Co auch die alarmistischen Warnungen der Sicherheitsbehörden. Das „terroristische Ausbildungslager“ entpuppte sich als einfache Hütte, ohne Profi-Ausstattung, oft war nicht einmal ein Ausbilder da.

Letztlich rührt die Gefährlichkeit von Gruppen wie der IJU nur aus der Entschlossenheit zur Selbstaufopferung. Auch der erste aus Deutschland stammende Selbstmordattentäter Cüneyt Cifci wird der IJU zugerechnet. Der in Bayern aufgewachsene Türke hatte sich im März 2008 in Afghanistan in die Luft gesprengt und dabei zwei US-Soldaten und mehrere afghanische Zivilisten getötet. Hätte die Gruppe um Gelowicz sich nur einen kleinen Anschlag mit wenigen Toten vorgenommen, hätte sei vermutlich viel mehr Schaden anrichten können.CHRISTIAN RATH