: NGOs geben Muñoz Munition
Nichtregierungsorganisationen sehen Bildungsrechte in Deutschland vielfach verletzt. Kritik an Behörden, die „illegalen“ Schul- und Kindergartenbesuch verhindern
BERLIN taz ■ Es klingt wie ein Schurkenstück aus dem Mittelalter. In Bonn gehen Staatsanwälte gegen Mitarbeiter des Jugendamtes wegen schrecklicher Vergehen vor: Sie hätten es Kindern erlaubt, einen Kindergarten zu besuchen. Die Stadt hat prompt reagiert: Sie weist ihre Kita-Leiterinnen an, Personalausweise und Meldebescheinigungen zu kontrollieren – auf dass niemand illegal in den Genuss frühkindlicher Bildung komme.
Solche und ähnlich groteske Fälle hörte gestern in Berlin der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Bildung, Vernot Muñoz. Nichtregierungsorganisationen trafen Muñoz im Institut für Menschenrechte, darunter die Türkische Gemeinde, die Deutsche Liga für das Kind, die Berliner „Kinderrächtszänker“ und ForscherInnen, die sich mit Kinderarmut und frühem Lernen befassen. Muñoz will morgen eine Bilanz seiner Zehntagesreise durch Deutschland ziehen.
Die Teilnehmer erhoben harte Vorwürfe gerade gegen die Bundesländer, weil sie sich dem Recht auf Bildung in den Weg stellten. Der Jesuit Martin Stark vom „Katholischen Forum Leben in der Illegalität“ problematisierte die föderale Zersplitterung der Schulrechte in Deutschland. Weil ihr rechtlicher Status in den Ländern nicht klar sei, würden die Kinder illegaler Migranten oft nicht eingeschult. Hessen verpflichte seine Schulleiter, die Ausländerbehörde zu benachrichtigen, sobald Kinder illegal in der Schule auftauchten.
Marianne Demmer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft monierte, dass das Recht auf Bildung zu einer Art Verschlusssache der Regierungen in Deutschland geworden sei. Die Länder und der Bund würden systematisch die Klagen von Lehrern und Schülern über Verstöße gegen Bildungsrechte übergehen, sagte Demmer.
Thema der gestrigen Sitzung war auch das unwürdige Pingpong zwischen Bund und Ländern wegen der Vorbehalte gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die das Recht auf Bildung aus der Menschenrechtserklärung konkretisiert. Die Bundesrepublik hat die Konvention 1992 ratifiziert – allerdings Vorbehalte der Länder schriftlich vermerkt. Seitdem schieben sich Bundes- und Landesregierungen gegenseitig die Schuld für die Vorbehalte zu. Die UNO hat Deutschland mehrfach aufgefordert, die Verwirklichung der Kinderrechtskonvention nicht weiter zu blockieren. CIF
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