: An den Grenzen der Malerei
AUSSTELLUNG Leichtigkeit und Massivität im gleichen Moment – die Kunst von Sanya Kantarovsky, dessen Arbeiten zurzeit in Bremen zu sehen sind, kann sprachlos machen. Dabei spielt der Künstler mit Enttäuschungen
VON RADEK KROLCZYK
Auch Enttäuschungen können Halt geben. Zumindest dann, wenn sie immer wiederkehren und wenn man sich auf sie verlassen kann. Solcherlei stabilisierende Enttäuschungen kennen wir von Charly Brown. Immer dann, wenn er im Herbst seinen Drachen steigen lassen möchte, erwischt ihn ein drachenfressender Baum. Hätte der Baum einmal keinen Appetit, wüsste unser Peanuts-Charakter sicher nicht, was er nun zu tun hätte. Von solchen immerwährenden, sich produktiv auswirkenden Enttäuschungen ist die Ausstellung „You are not an evening“ des russischen Künstlers Sanya Kanatarovsky, die zurzeit in der GAK zu sehen ist, geprägt.
Es ist die erste institutionelle Einzelausstellung des 1982 in Moskau geborenen Künstlers, der bereits von den renommierten Galerien Tanya Leighton in Berlin und MARC-FOXX in Los Angeles vertreten wird. In seinen Arbeiten treffen konstruktivistische Momente auf illustrative, comicartige Figuren, denen seltsame Dinge wiederfahren; die aus ihren Rahmen fallen oder aus ihnen fliehen müssen, weswegen der Vergleich mit Charly Brown so gut passt.
„Kantarovskys Gemälde haben alles, was man nicht darf: Sie sind auf den ersten Blick leicht zugänglich, haben Witz, schöne Farben, sind elegant und melancholisch. Sie sind sehr bewusst nah dran am Dekorativen. Mir war lange nicht klar, ob hier mit diesen Attributen offensiv gespielt wird oder ob sie blind verwendet werden“, erzählt Janneke de Vries, Direktorin der GAK und Kuratorin der Ausstellung. „Nachdem ich ihn getroffen hatte, war mir sehr schnell klar, dass er genau weiß, was er da tut, und seine Mittel gezielt einsetzt.“ Aber wo wird dies in den Kunstwerken sichtbar? Wahrscheinlich ist es das Moment der dauernden Enttäuschung.
Und die zieht sich bereits durch die Titel der Arbeiten: „You expected objects“ zeigt einen dunklen Fleck, der sich über eine Leinwand ausbreitet, „You are not an evening“ bezeichnet eine gleich doppelte Enttäuschung, weil schließlich niemand, nicht einmal der Möglichkeit nach, ein Abend ist.
„Sanya Kantarovsky testet die Grenzen der Malerei aus“, sagt de Vries: „Er erweitert sogar den Gattungsbegriff der Malerei. Nicht innerhalb der einzelnen Bilder, aber als Installation im Raum.“ Tatsächlich fällt die Art, in der die Bilder hier gehängt sind, ins Auge. Sie korrespondieren auf unterschiedliche Weise mit dem Raum. „You are not someone here but something“ zum Beispiel: Vor einem schräg liegenden weißen Rechteck lehnt eine Figur in blauem Anzug gegen den linken Bildrand. Sanya Kantarovsky hat sein Bild an den rechten Rand einer Wand gehängt, so dass es aussieht, als würde sich die Figur gegen diese rechte Wand lehnen. Soll das lustig sein? Ich kann nicht anders, als mich fremdschämen. Kantarovsky schiebt in seinen Werken gerne solche schönen, witzigen Momente vor, als wolle er belustigen und erfreuen; ich will mich abwenden und merke dann, dass das Werk hierin nicht aufgeht.
Die Bilder stehen nicht allein, nicht einfach nur für sich. Schließlich befinden sich im Raum noch andere Arbeiten, die räumlich eingesetzt werden, so dass man schon gar nicht mehr von Bildern sprechen kann, eher schon von Bildobjekten oder Bildinstallationen sprechen muss.
Von der Decke des Hauptausstellungsraumes hängen in maßgeschneiderte Hemden gekleidete Leinwände. In den Hemdtaschen stecken kleinformatige Gemälde, eines mit der Rückseite zum Betrachter. Auch hier steht man vor derselben Schwierigkeit: Der Witz ist viel zu blöd, um nur ein blöder Witz zu sein. Die gleichzeitige Massivität und Leichtigkeit der fünf großen, frei hängenden, in helle, luftige Stoffe gekleideten Leinwände macht sprachlos. Vielleicht ist dieses Gefühl, das sich zunächst wie Fremdscham anfühlt, in Wirklichkeit eine Art Selbstscham? Weil ich das Dekorative, Illustrative und Witzige in Kantarovskys Bildern in Wirklichkeit dann doch irgendwie mag?
Kantarovsky hat um zwei Säulen der Ausstellungshalle wie an einem Aussichtspunkt blau- und gelblackierte Eisenbalustraden aufgestellt. Ihre Linien finden sich in den Rändern der sie umgebenden Bilder wieder. Ich betrete den Raum, den diese Stangenkonstruktion öffnet, in etwa so, wie die Figuren in den Bildern abstrakten Strukturen begegnen und in diese übergehen. Von dort aus verdoppelt sich meine Betrachterrolle. Zwar in der Ausstellung, werde ich aus der Ausstellung herausgezogen und überschaue die Landschaft aus seltsamen Kunstwerken. Und gewinne ein wenig Sicherheit. Zum ersten Mal.
■ bis 25. August, GAK – Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen