: Mit den Farben des erweiterten Bewusstseins
KNUBBELCHEN Kommt und besucht mal Barbapapa (es macht viel Spaß)! Es gibt sie inzwischen wieder als Bilderbuch: die quietschbunten, polymorphen Figuren, die in den Siebzigerjahren als Fernsehstars berühmt wurden
VON KATHARINA GRANZIN
Wie kann das passieren? Da denkt man dreißig Jahre lang, mindestens, nicht an jemanden und ist, als man ihn dann wiedersieht, erst total überrascht und dann ganz überraschend glücklich. Das ist jetzt bestimmt so eine Art visueller Madeleine-Effekt, denkt man, bemüht, vor sich selbst etwas Würde zu bewahren. Bestimmt, hoffentlich, würde niemand glauben, dass man in der Lage ist, beim Anblick einer Portion rosa Zuckerwatte so kindisch in Entzücken zu geraten.
Zuckerwatte heißt auf Französisch barbe à papa. Und es lassen sich nur Vermutungen anstellen, welche bewusstseinserweiternden Substanzen die Architekturstudentin Annette Tison sich wohl zugeführt hatte, als sie die erste Zeichnung eines birnenförmigen rosa Wesens anfertigte, das sie „Barbapapa“ nannte. Das war Ende der Sechzigerjahre, und Tison saß mit ihrem Lebensgefährten, dem amerikanischen Mathelehrer Talus Taylor, in einem Pariser Café.
Die Zeiten waren damals andere. Und Tison, die im Studium sicher darauf getrimmt wurde, graue Sichtbeton-Funktionsgebäude zu entwerfen, wie sie damals überall wie eckige Pilze aus dem Boden schossen, wollte wahrscheinlich einfach mal etwas Rundes und Buntes zeichnen. Etwas, das die evolutionäre Möglichkeit unendlichen Formenreichtums noch in sich trägt. Denn Barbapapa, der eines Tages im Garten des kleinen François und seiner Eltern aus der Erde sprießt, lässt sich durchaus als Sinnbild der organischen Urform betrachten. Amorph von eigentlicher Gestalt, können die Barbapapas sich verwandeln, in was auch immer sie wollen. Oder in was auch immer gerade gebraucht wird, denn alle Mitglieder der Barbafamilie bestechen durch ihre selbstverständliche Hilfsbereitschaft und ihre praktische Kreativität.
1970 kam in Frankreich das erste Barbapapa-Bilderbuch heraus, ab 1973 gab es die freundlichen bunten Knubbelchen als Trickfilm. Im November 1974 flimmerten sie zum ersten Mal auch über deutsche Mattscheiben und wurden damit zum Teil des kulturellen Erfahrungsschatzes der Generation Golf ff.
Es gab auch Barbapapa-Bücher in Deutschland, doch diese Tatsache hat sich ungleich weniger im kollektiven Gedächtnis niedergeschlagen. Wen man auch fragt, niemand kann sich daran erinnern, damals je ein Barbapapa-Buch gesehen, geschweige denn besessen zu haben. Später Geborene hatten dazu erst recht keine Gelegenheit, denn ab 1982, als der Stalling Verlag in Konkurs ging, waren die deutschen Rechte 25 Jahre lang gesperrt.
Nach Ablauf dieser Frist griff der Schweizer Atlantis Verlag zu. Seit gut zwei Jahren nun bringen die Züricher nach und nach alle Bände in neuen Übersetzungen heraus; zu einem beträchtlichen Teil sind es sogar deutsche Erstausgaben. Denn nach einer Pause von über einem Jahrzehnt haben Tison/Taylor wieder zu den Stiften gegriffen und seit den Neunzigerjahren vier weitere Bilderbücher produziert. Die Barbapapa-Reihe umfasst damit jetzt zwölf Bände, und auch „Die kleine Barbapapa-Bibliothek“, die etwas kürzere Geschichten im kleineren Format erzählt, liegt seit diesem Frühjahr – die sechs letzten Bände sind soeben erschienen – mit ebenfalls zwölf Büchern vollständig in deutscher Übersetzung vor.
Auch Erwachsenen ist darin vieles neu. Denn wer hat wirklich gewusst, dass Barbapapas in der Erde wachsen oder dass Barbapapa zuerst ganz allein war und sich seine Barbamama auf der ganzen Welt suchen musste? In „Barbapapas Reise“, einem der schönsten Bände der Reihe, kann man das jetzt in Ruhe nachlesen und gucken, wie Barbapapa und Barbamama sieben bunte Knöllchen im Garten vergraben, aus denen die sieben bunten, so verschieden begabten Barbakinder wachsen. Parallel kann man natürlich – auf DVD oder Youtube – auch die Filme wieder sehen. (Im französischen Fernsehen lief letztes Jahr eine neue, dritte Staffel. Außerdem soll eine 3-D-Version in Vorbereitung sein.)
Fortschritt der Menschheit
Vom Zeichnerischen her sind die alten Trickfilme aus deutlich gröberem Stoff gemacht als die Bücher, in deren Detailreichtum und Feinheit der Zeichnung sich dagegen richtig schwelgen lässt. Während die kleine Barbapapa-Bibliothek eher für Kinder im Vorschulalter geeignet ist, sind die großen Bilderbücher – obwohl oder weil auch sie eher wenig Text enthalten – auch für Schulkinder eine Quelle der Faszination.
Schon immer war es den Barbapapas ein Anliegen, Kindern Wissenswertes über die Welt nahezubringen und dabei Themen wie Umweltverschmutzung oder die Fehlentwicklungen im Bereich moderner Stadtplanung (auch die Barbapapas sind gegen graue Sichtbetonfunktionskästen) ausdrücklich mit einzubeziehen. In den neueren Bänden wird dieser Ansatz um aktuelle Fragestellungen ergänzt. Möglichkeiten der regenerativen Energiegewinnung sind jetzt ein großes Thema, und sogar der Mars wird besucht. An den Barbapapas kann man ihn erkennen, den Fortschritt der Menschheit. In den Siebzigern kam Barbapapa gerade bis zum Mond.
■ Infos unter www.ofv.ch