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Archiv-Artikel

Der Herr der Soundteppiche

FILMMUSIKER Hans Zimmer ist für den Oscar nominiert. Nie von ihm gehört? Doch!

Oscars

■ Die Verleihung: In der Nacht zum Montag wird die Oscar-Zeremonie aus dem Kodak Theatre in Los Angeles via ProSieben auch nach Deutschland übertragen.

■ Die Verdächtigen: Für die beste Filmmusik ist der Franzose Alexandre Desplat mit „Der Fantastische Mr. Fox“ nominiert. Wieder dabei: James Horner, der schon für „Titanic“ ausgezeichnet wurde. Diesmal hat er Melodien für den Blockbuster „Avatar“ komponiert.

■ Der Zimmer: Der Deutsche Hans Zimmer ist zum achten Mal auf der Liste der potenziellen Preisträger. Er wohnt in Hollywood und hat sich dort den Sound für „Sherlock Holmes“ ausgedacht.

VON THOMAS WINKLER

Man muss Hans Zimmer nicht kennen, um ihn zu kennen. Die meisten kennen ihn sogar ziemlich gut – und wissen es gar nicht. Die jedenfalls, die regelmäßig ins Kino gehen und nicht davor zurückschrecken, auch mal einen Film aus Hollywood zu sehen. Die paar hunderttausend Menschen halt, die die neueste Verfilmung von „Sherlock Holmes“ gesehen haben. Oder die Batman-Filme. Oder „Fluch der Karibik“, einen der drei Teile. Oder vor neun Jahren „Gladiator“. Oder noch früher „Rain Man“, „König der Löwen“, „Miss Daisy und ihr Chauffeur“, „Thelma und Louise“. Wer einen dieser Filme gesehen hat, kennt vielleicht nicht den Namen Hans Zimmer. Aber er hat was gehört von ihm. Musik nämlich.

Einer der Erfolgreichsten

Denn Zimmer ist Komponist. Filmkomponist, um genau zu sein. Und, um ganz genau zu sein, zurzeit so ziemlich der Gefragteste seiner Zunft. Diesmal ist Hans Zimmer mit der Musik für „Sherlock Holmes“ wieder nominiert für den Oscar. Zum insgesamt achten Mal. Einen Academy Award hat er schon mit nach Hause nehmen dürfen. Dort steht die goldene Statuette neben zwei Golden Globes und drei Grammys. Trotzdem ist Zimmer, 52 Jahre alt, geboren in Frankfurt am Main und Deutschlands erfolgreichster Filmkomponist dieser Tage, hierzulande vergleichsweise unbekannt. Sehr viel unbekannter jedenfalls als Christoph Waltz oder Michael Hanecke, die am Sonntag in Los Angeles ebenfalls auf einen Oscar hoffen. Und die sind beide Österreicher.

Ja, es ist sogar so: Einige von den nicht so wahnsinnig vielen hierzulande, die den Namen Hans Zimmer kennen, finden ihn fürchterlich. Nicht den Namen, aber seine Musik. Zimmer ist zwar dort, wo er arbeitet, in seiner neuen Heimat Hollywood, einer der bestbezahlten seiner Zunft und gilt als solider, seriöser Handwerker, als einer, der Budget und Zeitrahmen einzuhalten pflegt. Hierzulande aber, in seiner alten Heimat, sieht man das alles nicht, sondern macht ihn verantwortlich für den Kleister, der sich im Kino heutzutage so aus den Boxen zu quälen pflegt.

Wie er zu einem der berühmtesten Unbekannten wurde? Eher zufällig. Zimmer, der sich das Klavierspielen weitgehend autodidaktisch beibrachte, wusste zwar schon als Sechsjähriger, so geht jedenfalls die Legende, dass er einmal Filmkomponist werden wollte, sein Ziel erreichte er allerdings erst auf Umwegen über die Popmusik. Als Teenager schickten ihn seine Eltern auf ein Londoner Internat. Dort geriet er in die grassierende New Wave und spielte, wenn auch meist nur kurz, in halb vergessenen, halb legendären Bands wie The Buggles, Ultravox oder Krisma.

Vor allem aber lernte er damals umzugehen mit den ersten Synthesizer-Generationen, die später den berüchtigten Zimmer-Sound prägen sollten. Er habe, hat Zimmer einmal gesagt, auch nicht mehr Talent als viele andere Kollegen, die noch heute auf ihre Chance warten würden. Er bekam seine erste in den USA mit „Rain Man“. Der Film wurde ein Erfolg, und Zimmer galt fortan als verlässliche Größe. Vor allem aber erarbeitete sich der „Egomane“ (Zimmer über Zimmer) schnell den Ruf, jede verlangte Sparte bedienen zu können, ob Drama oder Komödie, Kriegsfilm oder Krimi, Science-Fiction oder Action, vor allem immer wieder Action-Filme. In denen dient, so verlangt es das Genre, die Musik oft nur zur plumpen Verstärkung, zur Untermauerung einer emotional wenig diffizilen Handlung wie einer Verfolgungsjagd.

Zimmer, so der gängigste Vorwurf an seine Arbeiten, würde diesen Stil leider seitdem flächendeckend anwenden. Seine Musik unterstütze nicht das Bild, kommentiere es nicht einmal, sondern übernehme gleich die ganze Erzählung. Sitzt man im Kino und sieht einen von Zimmer orchestrierten Film, so die Unterstellung, könnte man problemlos auch die Augen schließen, ohne Entscheidendes zu versäumen. Die epischen Spannungsbögen, die der erklärte Ennio-Morricone-Fan von dem legendären Italo-Western-Komponisten übernommen hat, werden mit dem elektronischen Klangerzeugungs-Know-how verschnitten, das sich Zimmer in seiner Popzeit angeeignet hat.

Das Ergebnis ist das, was Irmin Schmidt „die Zimmer-Krankheit“ nennt. Auch Schmidt, früher Krautrock-Legende mit Can und heute einer der geschätztesten Filmkomponisten hierzulande, kann sie nicht mehr hören, sagt er, „diese orchestrale, aber digital hergestellte Soße mit kleiner Klaviermelodie“. Doch das ist, auch wenn es aus so berufenem Munde kommt und Schmidt mit seiner Meinung wahrlich nicht allein steht: ein Vorurteil.

Filmmusik ist wie ein Fußball-Schieds- richter: Wenn sie auffällt, dann meist unangenehm

Klezmer für Guy Ritchie

Sicher, Zimmer hat viele Blockbuster mit üppigen Klangteppichen ausgepolstert. Er hat gerne Sounds aus dem Computer verwendet, aus Kosten- und Effizienzgründen. Und in seiner Firma Remote Control Productions, deren Büros nicht umsonst am Sunset Boulevard im Herzen Hollywoods liegen, lasse er, so seine Kritiker, von Nachwuchskräften Soundtracks wie in einer Komponierfabrik herstellen.

Man könnte aber auch sagen, Zimmer fördere Talente und habe eine kreative Keimzelle geschaffen, ähnlich der legendären Factory von Warhol. Tatsächlich hat Zimmer auch immer wieder für kleine Filme gearbeitet und einige Musiken komponiert, die so gar nicht den kolportierten Vorurteilen entsprechen wollen. Auch bei „Sherlock Holmes“ sucht man die breiten Streicher-Arrangements meist vergeblich. Stattdessen experimentiert Zimmer mit Klezmer, osteuropäischer Folklore und industriellen Rhythmen. Und er legt einen musikalischen Witz an den Tag, der durchaus korrespondiert mit der parodistischen Interpretation des alten Stoffs durch Regisseur Guy Ritchie. Dass die nicht zu zünden vermag, dafür kann man Zimmer nicht verantwortlich machen.

Trotzdem gilt der Prophet im eigenen Land erstaunlich wenig. Der Grund mag sein, dass eine Filmmusik, die das Bild nicht an den Rand drängen möchte, auch nicht auffällt. Filmmusik ist wie ein Fußballschiedsrichter: Im besten Falle ist sie einfach da, als Regulativ im Unterbewusstsein des Zuschauers. Wenn sie auffällt, dann meist unangenehm. Und Hans Zimmer ist eben schon öfter aufgefallen. So oft, dass fast jeder von ihm gehört haben müsste.