: PRESS-SCHLAGMahner auf dem Glatteis
Ein paar Wochen wird er wohl auf jeden Fall noch bleiben dürfen. Denn der DFB hat den Prozess gegen Manfred Amerell ja nicht verloren. Es gab eine außergerichtliche Einigung, und wie es in solchen Fälle ist, tun beide Seiten so, als seien sie hoch zufrieden mit dem Ergebnis. Doch es ist ungemütlich geworden für Theo Zwanziger, den Chef des mächtigsten Einzelsportverbandes der Welt.
Nicht einmal die Nachbarn stehen ihm noch zur Seite, vor kurzen musste er im Hausblatt FAZ lesen, dass er ein Mann mit dem Hang zur Selbstdarstellung ist. Und allenthalben wurde ihm große Überforderung attestiert. Im Fall Amerell machte er sich schnell zum Verteidiger der Schiedsrichter – eine Entscheidung, die Zwanziger vielleicht noch bedauern wird. Denn die könnte ihm auf die Füße fallen. Dabei hat er den letzten Ärger noch einigermaßen ordentlich moderieren können: die gescheiterte Vertragsverhandlung von Trainer Löw und Manager Bierhoff.
Doch nun wird ihm ein katastrophales Krisenmanagement von allen Seiten attestiert. Der Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen. Und ein Schlingerkurs des DFB-Chefs in solchen Angelegenheiten ist nicht neu. Als Zwanziger sich vor anderthalb Jahren mit dem Sportblogger Jens Weinreich balgte, machte er falsch, was man falsch machen kann. Seinerzeit drohte er mit Rücktritt, falls ein richterlicher Beschluss in einer Hauptverhandlung zur Folge hätte, dass man ihn einen Demagogen nennen darf. Die Parteien verglichen sich, Zwanziger blieb, die Sache geriet in Vergessenheit.
Seither profilierte sich Zwanziger als nachdenklicher Mahner im Profibetrieb. Am Sarg vom Nationaltorhüter Robert Enke hielt er eine Rede, die nicht nur die Fußballnation bewegte. Auch sein Engagement als gesellschaftspolitischer Vorreiter des DFB ging weiter: Er war der Anwalt der Schwulen und der Diskriminierten, der Gegner des Rassismus und im Speziellen des Antisemitismus. Solche Wörter hatte keiner seiner Vorgänger auch nur je erwähnt.
Doch aktuell befindet sich Zwanziger auf Glatteis. Was auf den ersten Blick wie eine komfortable Situation für den DFB aussieht, könnte leicht zum Bumerang werden: Amerell erhält die Namen derjenigen, die ihn belasten. Und er bekommt Akteneinsicht. Dass sein Anwalt diese nicht hatte und erst der Gang vor Gericht zur Klärung beitrug, ist für sich genommen ein schon gar nicht mal kleiner Skandal. Er dürfte nicht lange dauern und Amerell wird wohl die Zeugen verklagen – wegen Verleumdung. Kommt es zu einer Verurteilung, hilft dem DFB das Urteil vom Donnerstag nur noch wenig, wonach er weiter verbreiten darf, Amerell habe Schiedsrichter sexuell belästigt. Das alles würde auf Zwanziger zurückfallen. Es könnte sich herausstellen, dass der DFB sich hinter ein paar Burschen gestellt hat, die eine Intrige gegen Amerell gesponnen haben. STEFAN OSTERHAUS