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Archiv-Artikel

Der Mann, der den Drachen zähmt

GROSSES KINO In „Avatar“, dem erfolgreichsten Film aller Zeiten, hat die soldatische Männlichkeit endgültig ausgedient. Der neue Mann, wie die Kulturindustrie ihn sich heute vorstellen kann, lernt von sportlichen Frauen Weiblichkeit – was ihm erneut die Führung garantiert

VON INES KAPPERT

„Avatar“ ist der erfolgreichste Film aller Zeiten; und markanterweise lautet seine weltweit goutierte Botschaft: Jetzt muss sich der weiße Mann aber wirklich dringend neu erfinden. Ansonsten bomben die Amis die Welt einfach weiter und dann auch endgültig zu Tode.

Blockbuster zeigen, was die globale Kulturindustrie in diesem Moment denken kann und denken will. Das macht sie politisch relevant. Denn das Bemerkenswerte am global operierenden Kinospaß ist ja: Die Filme werden kulturübergreifend verstanden. Es gelingt ihnen, weltweit zu unterhalten, also zu überraschen, ohne zu überfordern.

Regisseur James Cameron erzählt die Geschichte vom kriegsversehrten US-Soldaten, der in der imaginären Welt des Netzes zu einem kraftvollen und katzenhaft geschmeidigen Körper findet. Seinen Avatar, also seine digitale Identität, nimmt er als seine eigentliche Natur an und kommt damit endlich zum Frieden. Diese in grellbunte Farben gekleidete Fabel ist weltweit noch ein bisschen beliebter als Camerons zuvor produzierte Romanze „Titanic“. In dieser liebt der gute Proletarier die Dame von Adel nicht nur, er rettet sie auch und endet ob seiner Ritterlichkeit tragisch im eisigen Meer.

Männer lernen von Frauen

Auch „Avatar“ stellt die Frage nach der Rettung. Diesmal allerdings nicht der ständischen Ordnung, sondern einer Welt, der die Ressourcen ausgehen. Und stellt fest: Der Soldat als Urfolie für den Kämpfer hat ausgedient. Denn entgegen seines Auftrages sichert er keinen Lebensraum mehr: Er vernichtet ihn. Wollen Männer weiterhin die Welt retten und anführen – und das wollen sie –, benötigen sie ein massiv verändertes Selbstverständnis. Sie müssen sich ein neues Wissen aneignen. Sie müssen sich vernetzen, sie müssen wieder in Dialog mit dem Anderen treten. Camerons Kritik am dumpf-aggressiven weißen Mann ist radikal. Entsprechend viel hat seine Hauptfigur namens Jake Sully zu lernen. Vor allem von weisen, sportlichen Frauen.

Der neue Mann, und das ist entscheidend, entspringt bei Cameron nicht dem Wunsch emanzipierter Frauen, sondern er wird aus einer klar männlich ausgewiesenen Perspektive eingefordert. „Avatar“ ist alles, aber kein chickflick, kein Frauenfilm, es ist ein romantischer Kriegsfilm. Und er wirbt für die souveräne Verweiblichung seines Helden.

In der anderen Welt, der wir Barbaren uns laut Cameron annähern müssen, unterscheiden sich die Geschlechter – es gibt nur zwei – nicht großartig voneinander. Frauen sind nur ein wenig kleiner, nur ein wenig schmaler und bedecken ihre barbusige Brust ebenso wie ihre männlichen Kameraden mit dem bunten Schmuck des Jägers. Ob männlich, ob weiblich, der Na’vi steht in Verbindung, er ist vernetzt. Sein nach chinesischem Vorbild geflochtener Zopf etwa ist die lebendige Verbindungsschnur zu seinem Drachen, der ihn durch die Lüfte trägt – und jedem Kampfhubschrauber überlegen ist.

Mit aller Macht versucht Cameron, wehrhafte Männlichkeit und Lernbereitschaft miteinander zu versöhnen. Der bedrohte Mann hört zu: selbst Frauen, selbst offenkundig überlegenen Frauen, denn die verwalten ein für ihn relevantes Wissen. Mit ihrer Hilfe lernt er die fremde Pflanze, das fremde Tier und die fremde Frau zu respektieren und darüber zu nutzen. Anders als die soldatische Kampfmaschine stellt er seine Überlegenheit über den Dialog mit dem Unbekannten her. Nicht dass er viel reden würde, er beobachtet und ahmt nach, er verbindet Intuition mit höchster Körperbeherrschung. Die er von seiner Liebsten lernt. Die unsportliche Form der Schülerschaft nämlich lehnt „Avatar“ entschieden ab.

Die loyale Assistentin

Die Wissenschaftler – verkörpert durch Sigourney Weaver – sind sympathischer, aber letztlich genauso unnütz wie die Militärs. Wissen, so die Botschaft, darf nicht aus Buchstaben gesogen werden, es muss erzählt, am eigenen Körper erprobt und mit diesem umgesetzt werden. Statt Bodybuilding steht Kampfyoga auf dem Plan. Der Soldat soll den Hippie in sich entdecken.

Und die Frau? Sie ist zunächst genervt. Wieder so ein Trottel, den sie erziehen muss. Bei jeder Gelegenheit lässt sie ihn ihre Arroganz spüren. Doch bringt ihn seine Unwissenheit in Gefahr, dann schützt sie ihren Schüler. Die überlegene Frau ist loyal. Und sie verliebt sich in ihn. Dank ihrer Liebe unterwirft sie sich ihm nach und nach. War die Frau am Anfang die unbeugsame Amazone, am Ende ist sie seine Frau. Cameron bietet uns für die harmonisch wieder auf die Füße gestellte Geschlechterhierarchie folgende Bilder an: Nachdem Jake den größten aller Drachen gezähmt hat, setzt sie sich wie selbstverständlich hinter ihn auf das Tier. Da wäre sie wieder, die klassische Aufteilung zwischen Fahrer und Beifahrerin. Damit nicht genug. Nachdem sie ihn gewählt hat, tauscht sie ihren Halsschmuck aus Tierzähnen und Tierkrallen gegen eine Art gehäkeltes Top ein. Dieses aus der Menschenwelt bekannte Kleidungsstück bedeckt nun ihre Brust.

Und so lernen die Zuschauer: Will die Frau sich mit einem Mann aufs Innigste verbinden, kann sie nicht mehr hauptamtlich Kämpferin in der Tradition ihrer weisen Mutter sein, sie muss zurückkehren in die patriarchale Ordnung. Ihre Option: Er ist der verständnisvolle Anführer, sie die verlässliche, mutige Assistentin an seiner Seite.

Der neue starke Mann ist also nicht mehr der egomanische Krieger, er ist der in Liebe verbundene Gärtner. Gleichzeitig stellt seine sanfte, auf Grenzwissen basierende Herrschaft die zuvor lädierte Hierarchie zwischen Mann und Frau, Weißen und Wilden wieder her.

Die Abschaffung des in seiner Empathielosigkeit erstarrten soldatischen Mannes kann die Kulturindustrie denken. Androgynität ist ihre Utopie. Gleichberechtigung hingegen scheint ihr noch immer zu gewagt.