Erdogan spricht von einem „Massaker“ in Kairo

TÜRKEI Der Regierungschef hält Ägyptens gestürztem Präsidenten Mursi die Stange

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der Putsch in Ägypten bestimmt derzeit die türkische Außenpolitik und zum großen Teil auch die innenpolitische Debatte des Landes. Während die meisten Regierungen eine eher abwartende Haltung gegenüber der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi durch das Militär einnehmen, haben der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu gegen den Putsch protestiert. Am Montag geißelte Davutoglu als erstes ausländisches Regierungsmitglied die Schießerei vor einer Kaserne in Kairo, bei der mehr als 40 Menschen getötet wurden, als „Massaker“.

Bereits zuvor hatte Erdogan die westlichen Staaten heftig dafür kritisiert, dass sie die Entfernung Mursis aus dem Amt nicht als Putsch bezeichnen würden. Erdogan nannte das einen Doppelstandard und einen schweren Rückschlag für die demokratische Entwicklung in Nordafrika.

Mehr noch als die Zurückhaltung des Westens hat die türkische Regierung aber die Reaktionen der arabischen Staaten irritiert. Weder Saudi-Arabien noch Katar, die beiden Hauptverbündeten der Türkei in Syrien, haben gegen den Putsch protestiert.

In Ankara wird jetzt darüber diskutiert, die diplomatischen Beziehungen zu einer Übergangsregierung in Kairo abzubrechen. Dagegen spricht, dass die türkische Regierung sich in der Region mehr und mehr isoliert. In Syrien unterstützt die Türkei sunnitische Bürgerkriegsparteien gegen das Assad-Regime, mit der irakischen Regierung liegen die Beziehungen ebenfalls auf Eis, weil die Türkei massiv die irakischen Sunniten gegen die Regierung unterstützt, und mit dem Iran geht schon länger nichts mehr.

Mit Mursi verliert die AKP-Regierung ihren letzten guten Verbündeten im Nahen Osten. Das ist für Erdogan umso schmerzlicher, als es sich bei Mursi nicht nur um einen befreundeten Staatschef gehandelt hat, sondern die AKP und die ägyptischen Muslimbrüder eng verbündet sind. Für die AKP ist das Vorgehen der ägyptischen Militärs auch ein Angriff auf den politischen Islam, wie sie ihn selbst verkörpert. Diese Parallelität bestimmt auch die Debatte in der Türkei. Obwohl sich alle Parteien und fast alle Kommentatoren einig sind, dass es sich in Ägypten um einen Putsch handelt, werden unterschiedliche Schlüsse daraus gezogen. Genau wie in der Auseinandersetzung mit der eigenen Protestbewegung, verweisen AKP – Anhänger darauf, dass Mursi mit 51 Prozent der Stimmen gewählt worden ist. Die Kritiker werfen Mursi wie Erdogan einen undemokratischen, allein seine Anhängerschaft privilegierenden Regierungsstil vor. Der Furor, mit dem Erdogan sich für die „ägyptischen Brüder“ in die Bresche wirft, reflektiert seine eigenen Ängste, von der Macht verdrängt zu werden. Die Folge ist eine Außenpolitik, die sich immer mehr an befreundeten Parteien und immer weniger am Interesse des Staats orientiert.