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Archiv-Artikel

Kein Boom am Bakken

Was der olympische Absturz der deutschen Skispringer mit Steffi Graf zu tun hat und warum Cheftrainer Peter Rohwein dennoch bis zum Jahr 2010 weiterarbeiten darf

„Wir habeneinige Probleme,die abgestelltwerden müssen“

AUS TURIN FRANK KETTERER

Auf dem Podium der Pressekonferenz saßen anderntags die deutschen Skispringer samt ihrem Trainer, und die Rede kam auf: Tennis. „Im Tennis“, befand Peter Rohwein, sei es vor gar nicht allzu langer Zeit doch auch so ähnlich gewesen, und was er damit meinte, ist wohl dies: Im Tennis gab es einmal Boris Becker und Steffi Graf, und ein bisschen auch den Spieler Stich. Die sammelten ziemlich viele Siege, und die Medien, allen voran das Fernsehen, haben viel über diese Siege berichtet und das ausgelöst, was man später einen Tennisboom nannte. Aber dann haben die drei aufgehört, erst der Spieler Stich, dann Boris Becker, schließlich auch Steffi Graf. Und so groß der Boom auch war, so groß war dann die Ernüchterung. Nur die Erwartungen sind gleich geblieben – und wenn heute Thomas Haas oder Nicolas Kiefer irgendwo in der Welt ein Tennis-Halbfinale erreichen, dann ist das bei weitem nicht genug, weil Becker mindestens das Turnier gewonnen hätte.

Wenn man Peter Rohwein richtig verstanden hat, dann hat er genau diese Geschichte erzählt, als er am Dienstag über Tennis sprach, wenn auch nur kurz und obwohl er Bundestrainer der deutschen Skispringer ist. Wobei an dieser Stelle wohl eher ein Weil als ein Obwohl stehen sollte: Rohwein hat vom Tennis gesprochen, WEIL er Skisprung-Bundestrainer ist. Was Rohwein nämlich sagen wollte, war dies: Dem deutschen Skispringen geht es derzeit just wie ehedem dem deutschen Tennis. „Wir sind in den letzten Jahren so gepusht worden, dass wir jetzt in der Situation sind, dass wir uns für einen vierten Platz entschuldigen müssen“, befand Rohwein. Dass der Bundestrainer ausgerechnet Platz vier nannte, war kein Zufall, weil zum einen die deutsche Equipe im Teamspringen am Vorabend just diesen Platz eingenommen hatte hinter Österreich, Finnland und Norwegen. Und weil davor auch Michael Uhrmann schon Vierter geworden war beim Springen von der Normalschanze.

Platz vier, das ist prinzipiell nicht schlecht. Es ist angesichts von Platz eins und zwei bei den Spielen vor vier und acht Jahren sowie fünf Team-Medaillen bei den zurückliegenden fünf Weltmeisterschaften aber auch nicht besonders gut. Zumal ja auch Rohwein in Turin mit mindestens einer Bronzemedaille geliebäugelt hatte, die größte Chance darauf sah er im Teamwettbewerb. „Natürlich müssen wir sagen, dass wir unser Ziel nicht erreicht haben“, gab der Trainer zu, sagte aber auch: „Es besteht Frustration, aber es ist kein Beinbruch.“ Wenn man Peter Rohwein richtig verstanden hat, muss man sich an diese Situation in den nächsten Jahren gewöhnen.

Genau genommen ist es so, dass die deutsche Skispringerei bei den Spielen von Turin endgültig angekommen ist in der Postära des Booms. Der war ohnehin nicht ausgelöst worden von einer Armada deutscher Springer, wie sie in Norwegen vorkommt oder selbst in Österreich, sondern letztendlich von zwei Protagonisten: Martin Schmitt und Sven Hannawald, „zwei absolute Ausnahmespringer“, wie Rohwein die beiden gestern nochmals nannte. Doch jetzt, da Hannawald gar nicht mehr springt und Schmitt nur noch hinterher, haben die Deutschen mit ihren Ausnahmespringern auch ihre Ausnahmestellung verloren. Und auch wenn sich das abgezeichnet hat, so wurde der Tiefpunkt dieser Entwicklung erst in Turin erreicht: Erstmals seit den Spielen 1992 in Albertville fahren die DSV-Springer ohne Olympiamedaille nach Hause. Dass sie an deren statt den Ärger mit dem am Freitag suspendierten Alexander Herr im Gepäck haben, ist nur ein weiterer Hinweis darauf, dass da etwas nicht stimmen kann im Horst der deutschen Adler.

„Wir haben einige Probleme, die abgestellt werden müssen“, sagt Rohwein, der trotzdem eine Jobgarantie bis 2010 vom Verband bekommen hat. Welche Probleme das sind, möchte er in der Öffentlichkeit nicht verraten. Nur so viel möchte Rohwein ausplaudern: „Es ist eine schwierige Situation.“ Und: „Es wird keine leichte Zeit werden, bis alles wieder auf dem richtigen Weg ist“, sondern eine lange Etappe mit „jeder Menge Arbeit, Stress und vielen Unannehmlichkeiten“. Das ist keine optimistische Prognose, und vielleicht hat auch Peter Rohwein das erkannt. So hat er hinterhergeschoben: „Es ist ja nicht so, dass wir bei null anfangen.“ Nein, so ist es nicht. Sondern: bei Platz vier.