: Gebremste Sammelwut
DEUTSCHLAND Seit 2010 streitet die Koalition
LUXEMBURG taz | In keinem anderen Land Europas wird so viel über die Vorratsdatenspeicherung diskutiert wie in Deutschland. Seit Jahren sind die Regierungsparteien zerstritten. Die CDU/CSU will sie einführen, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) blockiert.
Anfang 2008 war die sechsmonatige Speicherung aller Telefonverbindungsdaten („Wer telefoniert mit wem wo wie lange“) in Deutschland zunächst plangemäß in Kraft getreten. Die große Koalition aus Union und SPD hatte damals die entsprechende EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Ab 2009 mussten auch E-Mail-Verbindungsdaten und die Internetverkehrsdaten („Wer war wann mit welcher IP-Adresse online“) gespeichert werden.
Doch aufgrund einer Massenklage von 34.000 Personen hat das Bundesverfassungsgericht schon im März 2008 eine polizeiliche Nutzung der Daten per einstweilige Verfügung vorläufig gestoppt. Die Speicherung der Daten bei den Telekomfirmen lief allerdings bis März 2010 weiter. Dann erklärte Karlsruhe das deutsche Umsetzungsgesetz für verfassungswidrig. Eine Vorratsdatenspeicherung sei zwar grundsätzlich möglich, die gespeicherten Daten müssten aber besser gesichert werden.
Seitdem streitet die schwarz-gelbe Koalition über die Wiedereinführung. Im Mai 2011 legte das Justizministerium einen Gesetzentwurf vor. Danach soll bei den Telefondaten gar nicht auf Vorrat gespeichert werden, im Verdachtsfall sollen nur vorhandene Daten eingefroren werden („Quick Freeze“). Bei den Internetdaten schlug Leutheusser-Schnarrenberger immerhin eine siebentägige Vorratsspeicherung vor. Der CDU genügte das nicht. Ein Gesetz kam nicht zustande.
Die EU-Kommission verklagte Deutschland deshalb im Mai 2012 wegen Nichtumsetzung der EU-Richtlinie. Eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof gilt als sicher, weil bei solchen Klagen die Richtlinie nicht inhaltlich geprüft wird. Das Urteil steht aber noch aus.
Derzeit werden Internetdaten in Deutschland meist sieben Tage lang gespeichert. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat eine siebentägige Speicherung zu technischen Zwecken in einem Leitfaden akzeptiert. Häufig bekommt die Polizei deshalb auch heute die Daten, die sie braucht, um Internetnutzer zu identifizieren.
Die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland wenig populär, obwohl auch die SPD die Einführung fordert. Die CDU/CSU vermeidet in ihrem Wahlprogramm deshalb den Begriff und spricht stattdessen von „Mindestspeicherfristen“. In der Sache macht das keinen Unterschied.
CHRISTIAN RATH