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Archiv-Artikel

„Die Leute fühlen sich angegriffen“

Der Karikaturenstreit hat die Kluft zwischen Deutschen und Migranten vergrößert. Kölner Schulkinder wurden wegen der Wutausbrüche in islamischen Ländern angepöbelt. Da hilft nur Aufklärung, sagt der Lehrer Kamal Aras

INTERVIEW SUSANNE GANNOTT UND HENK RAIJER

taz: Herr Aras, nach den zum Teil gewalttätigen Reaktionen von Muslimen auf die Mohammed-Karikaturen müssen sich Migrantenkinder in Kölner Schulen anhören, wie intolerant der Islam sei. Nimmt die Feindseligkeit zu?

Kamal Aras: Eindeutig, wenn auch nicht erst seit dem so genannten Karikaturenstreit. Das war schon nach den Anschlägen vom 11. September 2001 so. Da werden Jugendliche mit türkischem, arabischem oder iranischem Familienhintergrund schon mal als „Wilde“ bezeichnet. Schüler, die Türkisch sprechen, werden in der Kölner Straßenbahn ohne jeden Anlass von Leuten angepöbelt und aufgefordert, doch gefälligst in ihr Land zurückzukehren, wenn es ihnen hier nicht passe. Mädchen, die Kopftuch tragen, ernten abfällige Blicke, fühlen sich oftmals bedroht, sagen mir, dass sie Angst haben, U-Bahn zu fahren. Eigentlich hatte sich das in den Jahren nach dem 11. September längst wieder abgeschwächt. Aber jetzt, nach der Veröffentlichung der Karikaturen und durch die Berichterstattung über die Ausschreitungen als Reaktion darauf, hat die antimuslimische Welle wieder eingesetzt.

Was tun Sie als Lehrer, was tun Eltern und Pädagogen, damit Kinder mit muslimischem Hintergrund ohne Angst vor Anfeindungen aufwachsen können?

Wir versuchen aufzuklären, nicht nur in der Schule, sondern auch in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen. Wir überlegen beispielsweise zusammen mit iranischstämmigen Eltern, wie wir den Kindern Rüstzeug an die Hand geben können für die offenen und versteckten Anfeindungen im Alltag. Dabei erklären wir auch immer wieder, wie wichtig es ist, sich nicht zu isolieren, denn das ist Gift für das Zusammenleben in der Stadt. Also, das mag sich jetzt ein bisschen nach „Leitkultur“ anhören, lässt sich aber nicht vermeiden: Ich meine, wirkliche Integration setzt voraus, dass man die deutsche Sprache beherrscht. Und die Kultur versteht, ja, sich womöglich mit ihr anfreundet, auch wenn sie zunächst fremd erscheinen mag. Desto interessanter wird auch das Leben hier und desto weniger notwendig ist der ständige Rückzug in das eigene türkische, arabische oder iranische Umfeld. Man genießt schließlich die Vorteile der hiesigen Kultur. Wer dem Leben hier gegenüber aufgeschlossen ist, versteht wahrscheinlich auch besser, wieso es in Deutschland möglich ist, solche Karikaturen zu veröffentlichen, ohne sie automatisch gutzuheißen.

Wie haben denn Ihre Schüler auf die Karikaturen reagiert?

Durchweg mit Empörung. Obwohl ihre Argumente durchaus verschieden sind. Einige sagen, man dürfe den Propheten nicht auf diese Weise diffamieren. Die fühlen sich persönlich angegriffen, beleidigt. Ein türkisches Mädchen fragte mich, was man mit solchen Darstellungen denn eigentlich bezwecke. Ob diese Zeitungsmacher wissentlich übersehen wollten, dass man hier mit einander leben, mit einander auskommen müsse. Noch etwas anders liegt die Sache bei den Iranern hierzulande. Iranische Jugendliche haben einen anderen Migrationshintergrund als türkische. Sie kommen in der Mehrzahl aus Familien, die ja gerade vor einer islamischen Herrschaft geflohen sind, die von ihr terrorisiert worden sind. Diese Schülerinnen und Schüler, die aus weitestgehend assimilierten Elternhäusern stammen, sprechen sich im Allgemeinen für freie Meinungsäußerung aus. Aber ein Mädchen meinte jüngst in einer Diskussion, es müsse doch auch in einem demokratischen Land Gesetze geben, die Minderheiten vor Diffamierung, Beleidigung und Erniedrigung schützen. Ganz generell aber muss ich feststellen, dass alle muslimischen Jugendlichen empört sind.

Wegen der Karikaturen oder wegen der zunehmenden Feindseligkeit seitens der deutschen Bevölkerung?

Wegen der Karikaturen, aber vor allem wegen der Berichterstattung über die Ausschreitungen danach in den islamischen Ländern. Denn auch dadurch fühlen sich die Jugendlichen hier diskriminiert. Weil man praktisch den Islam gleichsetzt mit randalierenden jungen Leuten, die in islamischen Ländern ausländische Botschaften angreifen und anzünden.

Und wie stehen die Schüler zu diesen Ausschreitungen?

Ich kenne nur wenige Jugendliche aus diesem Kreis, die gut finden, was da in manchen islamischen Ländern gerade passiert. Die meisten, mit denen ich darüber spreche, lehnen die gewalttätigen Reaktionen ab. Sie sind der Meinung, dass solche Gewaltausbrüche dem Islam nur schaden. Und dann gibt es, das weiß ich aus eher privaten Zusammenhängen in Köln, unter den iranischstämmigen Jugendlichen viele, die erkannt haben, dass es sich bei den Gewaltausbrüchen etwa in Teheran um inszenierte Aktionen der Hizbollah und verschiedenster Schlägertruppen handelt. Den meisten dieser Jugendlichen ist schon bewusst, dass die Proteste dort von der Regierung organisiert worden sind.

Also kein beginnender „Kampf der Kulturen“, sondern bloße Instrumentalisierung?

Dieser in den Medien gern herauf beschworene „Kampf der Kulturen“ ist tatsächlich ein Thema, das auch meine Schüler bewegt, das ihnen Angst macht. Was aber zurzeit in Indonesien, Libyen oder Iran passiert, hat nichts mit Kultur zu tun. Das ist eher Unkultur. Die meisten Iraner zum Beispiel, sogar religiöse, würden sich an so etwas nicht beteiligen. Das ist der Mob, der da tobt. Und er handelt im Interesse der Herrschenden, die solche Konflikte und Gewaltausbrüche inszenieren und instrumentalisieren.

Glauben Sie, dass der Konflikt, der sich hier hochschaukelt, die Isolation der in Köln lebenden islamischen Einwanderer verstärken wird?

Das glaube ich – leider – in der Tat. Die Leute fühlen sich jetzt schon nicht verstanden, diffamiert und bedroht. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich viele erstmal zurück ziehen werden. Das ist eine natürliche Reaktion, wenn auch eine falsche. Denn die Migranten müssten offensiver vorgehen, Aufklärung betreiben und Positionen vertreten, die diese Spannungen abbauen helfen. Leider gibt es im Moment eher eine gegenläufige Tendenz. Für Angehörige der iranischen Community ist es auch nicht leicht, in diesem Spannungsfeld eine Position zu finden. Die meisten in Köln ansässigen Iraner empfinden sich überhaupt nicht als religiös. Sie lehnen das islamische Regime „daheim“ ja auch ab. Aber sobald abfällig über Muslime oder den Islam gesprochen wird, fühlen auch sie sich angegriffen und isolieren sich.

Was können Lehrer tun, um dieser Tendenz bei Jugendlichen entgegen zu wirken?

Wir Lehrer können darauf hinwirken, dass sie ihre Angst überwinden und sich öffnen – auch wenn ihnen das im augenblicklich vergifteten Klima sicher schwer fällt.