: Ein ganz schön linker Schlagabtausch
Linkspartei und WASG wollen miteinander reden. Öffentlich und vor Publikum. Über Haushalts- und Finanzpolitik. Um Gemeinsamkeiten auszuloten. Richtig gelesen: G-e-m-e-i-n-s-a-m-k-e-i-t-e-n. Das muss doch schief gehen? Stimmt
Das Mikrofon fehlt. Es müsste an einem Kabel von der Decke schweben, der Moderator müsste es greifen und hineinbrüllen: „In der blauen Ecke – diiieeeeeeeeee Linkspartei, regierender Champion, vertreten durch Carl Wechselberg und Marian Krüger. In der roten Ecke – diiieeeeeee WASG, Herausforderer, vertreten durch Birger Scholz und Rouzbeh Taheri.“
Linkspartei und WASG wollen also miteinander reden an diesem Dienstagabend. Öffentlich und vor Publikum. Über Finanzpolitik (siehe Kasten). Um Gemeinsamkeiten auszuloten. Das muss doch schief gehen? Stimmt.
Natürlich bleibt der als Moderator engagierte Journalist vom Neuen Deutschland sachlich, als er einleitende Worte spricht. Er bittet darum, fair zu diskutieren, und hofft auf einen „wunderbaren Schlagabtausch“. Es klingt ein wenig ängstlich. Die Diskutanten, zwei links, zwei rechts, schauen im Stadthaus an der Parochialstraße ernst hinter ihren Wasserflaschen hervor. Um es vorwegzunehmen: Beide Seiten nutzen die Diskussion, in der Übereinstimmungen für einen gemeinsamen Wahlantritt ausgelotet werden sollen, weidlich – um den anderen in die Pfanne zu hauen.
Über der Debatte und den beinahe 200 Zuhörern schwebt schon bald die Gretchenfrage. Sollte die Linke zur Macht streben, wenn knappe Kassen allenfalls Korrekturen an Sparzwängen erlauben? Zwischen den Antworten beider Parteien klafft ein nicht zu überwindender Spalt: „Einer Stadt wie Berlin ist nicht damit gedient, wenn sich die Linke in die Büsche schlägt, weil sie sich die Finger an der Krise des Gemeinwesens nicht schmutzig machen will“, sagt Carl Wechselberg für die Linkspartei. „Die Linke muss eine Gegenkraft etablieren“, sagt Rouzbeh Taheri für die WASG. Denn wer der Logik des kleineren Übels folge, „muss jeden Mist mitmachen, weil es immer jemanden gibt, der noch schlimmer zuschlägt.“
Wer so unterschiedlich denkt, kann nicht zusammenarbeiten. Die Spitzenakteure wissen dies längst, und diese Erkenntnis scheint immer wieder durch. Wenn Marian Krüger sich abschätzig an den „lieben Kollegen Scholz“ wendet etwa oder wenn Rouzbeh Taheri Linkspartei-Politik als „Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz“ abwertet. Die Kontrahenten benehmen sich wie ein zänkisches Ehepaar, was insofern passt, als in dem Bau in Mitte auch das Standesamt des Bezirksamts residiert.
„Ja wo sind Sie sich denn einig?“, fragt irgendwann der wackere Moderator verzweifelt. Gar nicht so einfach. Die WASG räumt ein, dass Berlin sparen müsse. So sei etwa die Kappung der Wohnungsbauförderung richtig gewesen. Auch dass der Bund Berlin irgendwie bei der Entschuldung helfen muss, finden beide. Mehr war da nicht.
Denn sobald es um aktuelle Politik geht, wird der Unterschied zwischen idealistischem Anspruch und Sachzwängen allzu deutlich. „Rot-Rot wird als der Senat in die Geschichte eingehen, der am meisten Wohnungen verkauft hat“, sagt Scholz. Die WASG fordert zum Beispiel, die Gewerbesteuer in Berlin auf das Potsdamer Niveau zu heben. „Aber die Linkspartei bekommt die Krätze, wenn sie Unternehmen besteuern soll“, so Scholz. Wechselberg entgegnet, die 70 Millionen Euro, die das bringt, seien angesichts der Berliner Schulden zu wenig. „Wer Haushaltskonsolidierung auf eine einzelne Maßnahme konzentriert, greift zu kurz“, so Wechselberg. „Sorry, Leute – das ist nicht genug!“ Das sagt er öfter.
Dann ist es Zeit für die offene Diskussion. Eine Frau mit orangefarbener Mütze springt auf, sie fuchtelt hektisch mit den Armen, was sie sagt, geht im Gemurmel unter. Dann rennt sie nach vorn. „Gerade ging der Antrag auf eine quotierte Rednerliste ein“, sagt der plenumerfahrene ND-Mann. Antrag angenommen. Selbstverständlich. Danach herrscht kurz Verwirrung, weil nicht ganz klar ist, wonach denn jetzt quotiert wird: Linkspartei/WASG oder Männer/Frauen.
Der Moderator gibt die Formel „Zwei Fragen, zwei Antworten“ aus. Doch schnell zeigt sich, dass das Fragen ins Hintertreffen gerät. Es geht darum, dem Hassgegner vor den Kopf zu knallen, was man immer schon mal sagen wollte. Ein graubärtiger Mann von der WASG Neukölln hebt an: „Wenn man in der Sachzwanglogik argumentiert, wie der Herr Wechselberger …“
„…berg.“
„Was?!“
„…berg!!“
„Entschuldigung, ich wollte keinen diskriminieren.“ Gipfel der Diskussionskultur werden, kurz gesagt, nicht erreicht. Taheri plädiert auf dem Podium dafür, nicht jede Vorgabe der Bundespolitik mitzumachen. „Man muss auch mal aus der Rolle fallen.“ Die Linkspartei-Abgeordnete Elke Breitenbach fragt: „Heißt das, die Landesregierung soll bestimmte Gesetze ignorieren? Und dürften das andere Regierungen auch?“ „Das kommt auf die Einzelfrage an …“ Die Erläuterung, dass 1-Euro-Jobs nicht eingerichtet werden müssten, geht im Gejohle („Treffer versenkt!“) unter, Wechselberg ist „entsetzt“ über die angedachte Verletzung des Grundgesetzes und spricht von „Fantasterei“.
Es ist kurz vor acht. Gerade hat der Moderator gesagt, die Rednerliste werde geschlossen, da stellt sich Michael Prütz an, der im WASG-Landesvorstand sitzt. Das ist schlau, denn jetzt wird Prütz als einer der Letzten reden, und das tut er gründlich. „Ich finde, wir müssen die Dinge irgendwann zu einem würdigen Abschluss bringen. Wir werden gegen euch antreten!“, ruft er in den Saal – wohlgemerkt, erst in einer Woche soll die WASG-Basis über genau diese Frage abstimmen. Es könnte sein, dass sie Prütz ein paar Fragen stellt – zu seinem Verständnis von Basisdemokratie. Ulrich Schulte