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Archiv-Artikel

Neue Lebensformen im Kosmos

Aus dem einstigen Multiplex-Kino wird eine Multifunktionsbude: Die neuen Betreiber wollen mit Tagungen, Diskos und einem riesigen Biergarten die Karl-Marx-Allee wieder beleben. Der Umbau kostete 4 Millionen Euro, der Pachtvertrag läuft auf 15 Jahre

von NINA APIN

Im Foyer des Kosmos wartet eine Phalanx nagelneuer Barhocker auf ihren Einsatz. Die beigefarbenen Lederbezüge riechen noch nach Verpackungsfolie. Doch das Café-Lounge-Cocktail-Bar-Ensemble daneben muss erst noch fertig werden: In einem Chaos aus Kabeln, Werkzeugen und Kartons steht eine Gruppe Bauarbeiter und fügt halbrunde Sperrholzteile zu einem riesigen U zusammen. Das Baustellen-Chaos endet abrupt an einem stoffbespannten Präsentationsstand.

Zwei professionell lächelnde Damen überreichen hier Pressemappen, Kugelschreiber und Schlüsselanhänger mit Kosmos-Logo in Gold. Journalisten gruppieren sich um kleine Tischchen und frequentieren fleißig den Schnittchentisch am Ende des Raums. Zwischen den Tabletts mit Käsehäppchen und dem Präsentationsbildschirm an der Wand steht ein riesiger alter Filmprojektor herum. Inmitten der glatten Konferenzarchitektur wirkt er wie ein Fossil aus längst vergangenen Kinotagen.

Bei der Eröffnung 1962 war das Kosmos das größte Lichtspielhaus der DDR. Der massive Rundbau im Stil der Ost-Moderne lockte haufenweise Flaneure von der Karl-Marx-Allee in die Kinosäle. Im eiförmigen Großen Saal wohnten bis zu 1.000 Zuschauer Ereignissen wie der „Woche des sowjetischen Films“ bei. 1996 baute die UFA-Gruppe das DDR-Prunkstück zum ersten Multiplexkino Berlins um. Doch die Investition von 50 Millionen Mark rentierte sich nicht. Im August 2005 war das Kino pleite und schloss seine Pforten – wieder als erstes (und bisher einziges) Multiplex Berlins.

Auch jetzt ist man im Kosmos wieder ganz vorne dabei. Der ehemals größte Kinosaal der DDR sieht jetzt aus wie eine Mischung aus Großraumdisko und Tagungscenter. Die Bodenschräge und die 980 roten Sessel sind verschwunden, die Kinoleinwand wird links und rechts von zwei kleineren Leinwänden flankiert. Die Pressevertreter lassen sich ein wenig belämmert an kleinen weißen Stehtischen nieder. „Mein Gott, wie furchtbar“, entfährt es einer älteren Dame, die von der geschmacklosen Konferenzarchitektur sichtbar überwältigt ist.

Leiser Technobeat pluckert aus den Boxen, die Lichter gehen an. Zwei solariumgebräunte Herren in Schwarz treten nach vorn. Olaf Ponesky und Mirko Kahle stellen sich als neue Betreiber des Kosmos vor. 4 Millionen Euro haben die beiden in denkmalschutzgerechten Umbau investiert, um einen „kosmischen“, multifunktionalen Veranstaltungsort zu schaffen. Was genau das Kosmische sein soll, vermögen die Herren, die das Haus auf mutige 15 Jahre gepachtet haben, nicht genau zu sagen. „Alles ist möglich“, strahlt Kahle. Er kündigt an, mit der „Gastro“ am Wochenende die „erste Brennstufe“ zu zünden.

Neben Café und Bistro soll auf dem breiten Bürgersteig einer der größten Biergärten Berlins entstehen, natürlich mit WM-Leinwand und W-Lan-Zugang ins Internet. Foyer und Großer Saal sollen für Partys, Firmentagungen und Konferenzen vermietet werden. Größter Stolz der neuen Betreiber ist die Technik, für die sie offenbar keine Kosten gescheut haben. Die drei Jungs am DJ-Pult demonstrieren, wie „Video-Scratching“ auf drei Video-Leinwänden gleichzeitig funktioniert. Eine dumpfe Ahnung von brandenburgischer Großraumdisko liegt in der Luft, als Ponesky und Kahle (mit verspiegelter Sonnenbrille im Haar) mit einem blauen Kosmonautenmännchen als Pappe posieren und eine samstägliche „Kosmic Night“ mit „Partymusic, Partypeople und Partyfeeling“ ankündigen. Das ist auch ihr ursprüngliches Metier: Ponesky und Kahle betreiben seit Jahren mit großem Erfolg die Großraumdisko The New World südlich von Berlin. Ihr Konzept: „Bottle Partys“ und „Ladies Champus frei die ganze Nacht“.

Ein Rundgang durch das um den Großen Saal gruppierte Ensemble zeigt, dass in den ehemals neun anderen Kinosälen noch tote Hose herrscht. In Saal 3 sieht man nacktes Sperrholz mit herausstehenden Nägeln, vor Saal 6 warnt ein Schild „Silikonfugen noch nicht trocken“, Saal 5 ist tabu: Hier probt der bisher einzige feste Mieter, Theater im Kosmos, ein Musical. Premiere ist Anfang März. Einzig Saal 10 im Untergeschoss wartet fix und fertig mit original lila Bestuhlung und Rednerpult auf Berliner Nachwuchsfilmer, die nach den Plänen der neuen Betreiber hier zu günstigen Konditionen ihre Werke präsentieren sollen.

Zurück im Großen Saal umarmt Mirko Kahle noch immer sein Kosmonauten-Maskottchen. „Bald kriegen wir noch eine Frau dazu mit Röckchen“, freut er sich. Man sieht Kahle an, dass er an die kosmischen Möglichkeiten des Orts glaubt. 18 Festangestellte und 40 Saisonkräfte beschäftigen er und sein Partner. Die Kosten sollen durch eine Mischung aus Vermietung und Eigenveranstaltungen wieder hereinkommen.

Für die nächsten zwei Monate sei man ausgebucht, sagt er. Neben einer Show des Casting-Tanzlehrers Detlef D!Soost werde man die Wirtschaftswoche und draußen im Garten das Jazz-Fest beherbergen. Am meisten freut Kahle sich auf Abi-Bälle im Saal. Schließlich hat er vor 30 Jahren selbst hier seine Jugendweihe gefeiert. „Vor 1.000 Leuten diese vielen Holztreppen hochzulaufen, das war die Hölle“, erinnert er sich.

Heute sind es deutlich weniger Treppen, aber auch weniger Plätze: Der Verein „Jugendweihe“ konnte sich nicht entschließen, seine Feierlichkeiten hier abzuhalten. Mit 750 Plätzen ist ihnen der Saal zu klein.