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Archiv-Artikel

„Die ETA verfolgt eine neue Strategie“

Die baskischen Separatisten verzichten zur Zeit auf tödliche Anschläge, ein Ende des bewaffneten Kampfes bedeutet das aber nicht. Die Regierung in Madrid irrt in diesem Punkt, sagt Eduardo Uriarte, Publizist und früheres ETA-Mitglied

taz: Herr Uriarte, die spanische Regierung redet derzeit immer öfter von einem möglichen Friedensprozess im Baskenland. Gleichzeitig legt die Separatistenorganisation ETA Bomben und lehnt in einem Kommuniqué einseitige Schritte wie einen Waffenstillstand ab. Wie passt das zusammen?

Eduardo Uriarte: Es wird keinen Verhandlungsprozess mit einem Waffenstillstand geben, wie das früher der Fall war. Die ETA verfolgt eine neue Strategie. Die Separatisten verzichten auf tödliche Attentate, bleiben aber weiterhin aktiv mit kleineren Anschlägen und der gewaltsamen Eintreibung der so genannten Revolutionssteuer. Die ETA bleibt damit in der baskischen Gesellschaft präsent, die Drohung des Terrors wird aufrechterhalten. Für den Verzicht auf tödliche Attentate erwartet die ETA von der Regierung eine Reihe von Maßnahmen, wie z. B. die Wiederzulassung ihres verbotenen politischen Arms Batasuna und das Zugeständnis des Selbstbestimmungsrechtes für die Basken.

Ist das nicht ein sehr gewagtes Unterfangen, an solch einen mehr als vagen Friedensprozess zu glauben, bei dem die ETA nicht einmal zeitweise auf die Gewalt verzichtet? Warum spielt die Regierung da mit?

Entweder weil sie total naiv ist, oder weil sie sich vom politischen Umfeld der ETA an der Nase herumführen lässt. Oder ganz einfach deshalb, weil Regierungschef José Luis Zapatero unbedingt der sein will, der den Frieden bringt. Um zu begreifen, was passiert, muss man die Logik der neuen Politikergeneration verstehen. Ein Minister aus der Regierung Zapatero brachte es auf den Punkt: „Der Dialog an sich beinhaltet die Lösung.“ In der alten Logik, mit Verhandlungen in Folge eines Waffenstillstandes, war der Dialog nur ein Mittel. Er barg nicht die Lösung in sich, sondern konnte sogar zu einem noch größeren Konflikt führen. Die Regierung hat beschlossen, dass die Situation günstig ist für einen Friedensprozess, und hat so Hoffnungen bei der Bevölkerung geschürt. Hoffnungen, die durch das ETA-Kommuniqué zunichte gemacht wurden.

Sie selbst gehörten der ETA (político-militar) an, die Ende der 70er, Anfang der 80er eine Rückkehr ins zivile Leben aushandelte. Gibt es Parallelen zur heutigen Situation?

Es gibt keinerlei Parallelen. Wir hatten damals zwei Dinge eingesehen: Wir wollten die Wiedereingliederung der Gefangenen und der im Exil lebenden ETA(pm)-Mitglieder erreichen, und wir waren uns darüber einig, dass der bewaffnete Kampf nach Francos Tod und der Einführung der Demokratie ausgedient hatte. Wir sahen, dass mit Hilfe der Politik wichtige Ziele erreicht werden konnten. Der bewaffnete Kampf behinderte die politische Aktion, die dank des baskischen Autonomiestatutes möglich wurde. Diese zwei Punkte, die Sorge um die Gefangenen und die Einsicht, dass der bewaffnete Kampf nichts mehr nützt, waren überall dort wichtig, wo erfolgreiche Dialoge mit bewaffneten Gruppen geführt wurden.

Vielleicht versucht die Regierung die ETA genau dahin zu bringen?

Diese Idee gibt es auf Regierungsseite, aber sie wird nicht entschieden genug verfolgt. Zu akzeptieren, dass die ETA weiterhin eine Drohkulisse aufrechterhält, gibt dem bewaffneten Kampf erneut eine politische Bedeutung, die er längst verloren hat. Nach den islamistischen Anschlägen auf die Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004 ist die ETA zur Einsicht gekommen, dass tödliche Anschläge eine ernste und politisch gefährliche Sache sind, da sie breite Proteste gegen den Terrorismus hervorrufen können, die eine Niederlage des bewaffneten Kampfes herbeiführen können. Aber das heißt nicht, dass die anderen Aktivitäten ruhen. Die ETA erpresst von Unternehmen Gelder wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Und die reine Androhung von Gewalt – Mord inbegriffen – verschafft der ETA ein politisches Gewicht, die eine Partei mit einer ähnlichen Unterstützung nie hätte.

Was für einen Preis muss die Regierung zahlen, damit die ETA eines Tages auf die Waffen verzichtet?

Da hat sich nichts geändert: das Selbstbestimmungsrecht für die Basken mit dem Ziel der Unabhängigkeit. Deshalb redet die ETA auch nicht von den Gefangenen. Denn das würde voraussetzen, dass die ETA einsieht, dass der bewaffnete Kampf nicht der richtige Weg war. Doch das ist nicht so. Anders ist der Satz der Regierungssprecherin nicht zu erklären, dass es im Friedensprozess keine Sieger und Besiegten geben wird. Die logische Folge ist eine Amnestie, und vor allem wird durch diese Politik all das, was die ETA gemacht hat, legitimiert. Das heißt, der Sieger wird die ETA sein.

Ein Dialog kann auch stocken. Muss man in diesem Fall mit einem großen Anschlag rechnen?

Die ETA spielt mit dieser Möglichkeit. Und wenn du mit diesem Gedanken spielst, dann machst du es auch, wenn die Zeit gekommen ist. Im Augenblick braucht die ETA Zapatero. Denn ohne Zapatero hätte sie nicht die Bedeutung, die sie im Augenblick hat. Und wenn die Konservativen wieder an die Macht kämen, würden diese wieder auf die polizeiliche Verfolgung setzen, die die ETA in die augenblickliche Schwäche gebracht hat. Doch sollte die Regierung zum Schluss kommen, dass sie keine weiteren Zugeständnisse machen kann, ist ein erneuter großer Anschlag durchaus denkbar. Stell dir vor, was passiert, wenn kurz vor der nächsten Wahl Bomben in Madrid explodieren.

INTERVIEW: REINER WANDLER