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Archiv-Artikel

Gefilmte Vergangenheiten

Vom kaiserlichen 40-Sekünder bis zu Henning Scherf als jungsozialistischem Wassersportler: Diethelm Knauf sammelt alles, was Bremens Geschichte in bewegten Bildern zeigt. Schließlich betreibt er das hiesige Landesfilmarchiv – im Alleingang

Auf dem Sichtungstisch lagert eine Kohlfahrt aus den 40ern, darunter ist der filmische Nachlass der „Norddeutschen Mission“ aus Togo gestapelt. Was da wohl drin steckt?

Von Henning Bleyl

Wer ins Bremer Landesfilmarchiv will, muss erstmal den jüngsten Nachlass passieren. Hinter der Tür des ehemaligen Schulgebäudes in der Vegesacker Färberstraße stapeln sich alte Projektoren und Koffer, in denen das Lebenswerk von Kurt Renner seiner Sichtung harrt. Da Renner nicht nur Filmproduzent unter anderem für Radio Bremen war, sondern auch einer der ersten Bremer Kinobetreiber nach dem Zweiten Weltkrieg, eine vermutlich lohnende Mühsal – für die Diethelm Knauf aber erstmal Zeit finden muss.

Knauf nämlich ist derzeit einziger Mitarbeiter der seit 1998 existierenden Institution, die sich, einen Auftrag des Bremischen Archivgesetzes erfüllend, der Sicherung und Pflege der bewegten Bilder des Landes verschrieben hat. Eine ebenso spannende wie ausufernde Aufgabe, zumal „Umfeldrecherche“ sowie didaktische Aufbereitung ebenfalls zur Arbeitsplatzbeschreibung gehören. Also gleich zur Sache: Was liegt gerade auf dem Sichtungstisch? Laut vergilbtem Etikett die Aufnahme einer Kohlfahrt aus den 40er Jahren, darunter stapelt sich der filmische Nachlass der „Norddeutschen Mission“ aus Togo und Ghana in den Zwanzigern. „Das könnte schon etwas Besonderes sein“, meint Knauf.

Allerdings liegt die lohnende Trouvaille oft im Abseits. Wie bei dem Film, den ein Bremer Apotheker über seine 1928 unternommene Schiffstour in die USA gedreht hat - und dabei auch die Plaudereien mit einem gewissen Herrn v. Hünefeld und dessen Freunden filmte, die gerade auf der Rückreise von ihrem mittlerweile legendären Atlantikflug waren. Jetzt stehen die Luftfahrtpioniere gut verschlagwortet im Regal, zusammen mit Titeln wie „Eine Fangreise nach Grönland“„Schützengilde No 1“, oder auch „Mit dem Rad durch die Stadt“. Rund 7.000 Filme sind mittlerweile archiviert, ganz genau weiß Knauf es nicht: „Zweimal habe ich angefangen zu zählen ...“.

Der gelernte Historiker, der vor seiner LfA-Zeit in einem Auswanderer-Forschungsprojekt der Bremer Universität arbeitete, ist nicht der Typus des überakribischen Archivars. Seine Leidenschaft ist das Suchen und Sammeln, was oft genug einen Wettlauf mit den Entrümpelungsfirmen darstellt. Knauf: „Ich habe schon zu häufig die Erfahrung gemacht, zu spät zu kommen.“ Als er beispielsweise vom Tod eines schon lang beäugten Filmemachers erfuhr, war es gerade mal drei Tage zu spät: Die Erben hatten das gesamte Oeuvre bereits in die Tonne geklopft.

Was würde Knauf denn am liebsten finden? „Etwas aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wäre schon sensationell.“ Zwar hat er bereits einen etwa 40-sekündigen Fitzel von 1910, auf dem Wilhelm II. vor dem Bremer Rathaus steht. Aber die nächsten Streifen stammen schon aus den 20ern. Zum Beispiel der „Columbus“-Film des Norddeutschen Lloyd von 1924, Knaufs Liebling, „weil der so schön ist“. Konkret: Der Traum von einem Stapellauf, gedreht mit vier verschiedenen Kamera-Einstellungen, eine filmische Feier der zeittypischen Mensch und Maschine-Ästhetik.

Knaufs Auswahlkriterien sind vielfältig: „Sie setzen sich aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, technischen, künstlerisch-ästhetischen und möglicherweise biographisch-auktorialen Aspekten zusammen“, heißt es in einer Selbstdarstellung des Archivs. Und wer entscheidet am Schluss? „Der Bauch.“ Womit der auch viel zu tun hat, schließlich ruft jeden Tag jemand an, um alte Filmrollen anzubieten. Knauf interessiert sich grundsätzlich für alles, doch ab den späten 60ern klingt die Leidenschaft spürbar ab. Das Problem: Je billiger das Filmen, desto wahlloser produzierter Ausschuss entstand – durch den sich Knauf jetzt mühselig hindurchsichten muss. Nichtsdestotrotz hat er vor zwei Jahren die große Filmtausch-Aktion organisiert: Über Radio Bremen wurde der Bevölkerung angeboten, die auf Dachböden und in Kellern schlummernden Familienfilme gegen moderne Kopien einzutauschen. Knauf selbst will möglichst viele Originale in die Finger kriegen, während den Privatleuten mit einer VHS oder DVD am besten gedient sei.

Knaufs Archivierungs-Strategie nämlich besteht darin, den Angeboten immer neuer Speichermedien zu entsagen. Schließlich müsste er angesichts der rasanten Entwicklungen die dazu gehörige Abspiel-Hardware sonst noch mitsammeln. Klug gedacht – zumal die schon vorhandene „Hardware“ ganze Klassenzimmer füllt. Im ersten Stock der früheren Sprachheilschule etwa findet sich die komplette Ausstattung des Delmenhorster Filmemachers Klemens Lindenau, samt Pendelstativ für die seinerzeit beliebten Fischfangfilme. In den Fluren stehen antik wirkende Epidiaskope und andere Toaster-ähnliche Abspielgeräte – Platz ist in dem komplett genutzten Schulgebäude Mangelware.

Apropos: Allein in einer alten Schule voller Filme – fühlt man sich da nicht ziemlich einsam? „Nein.“ Wieder klingelt das Telefon, wie bestellt. Ist es diesmal jemand mit den Vorkriegsschätzen? Genau anders herum: Radio Bremen braucht Unterstützung bei der Bebilderung eines historischen Themas. Mittlerweile kämen die Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet, erzählt Knauf, der Bayerische Rundfunk etwa wüsste das Bremer Archiv sehr zu schätzen, nicht nur in Sachen Schifffahrt.

Die überregionalen Anfragen helfen bei der Finanzierung des lokalen Auftrags. Umgekehrt hat Knauf im Washingtoner Zentralarchiv Material aufgestöbert, das die US-Truppen ab Ende 1944 von Bremen drehten: Zuvor war die Bremer Trümmerlandschaft fast nur durch Fotografien dokumentiert. Als ähnlicher „Glücksgriff“ erwies sich ein 1936 gedrehter Privatfilm über eine Wehrmacht-Parade durchs Rembertiviertel. Von stadthistorischem Interesse sind dabei weniger die Soldaten als das Pflaster unter ihren Stiefeln – schließlich wurden die Straßenzüge acht Jahre später komplett zerstört.

Bei aller Aufspürbegeisterung hat Knauf auch Skepsis gelernt: „Die Leute erzählen viel, was Opa da angeblich alles gefilmt hat.“ Andererseits taucht das begehrte Zeitzeugnis dann oft ganz unverhofft auf, wie jüngst in Aufnahmen eines Bremen-Norder Wassersportvereins. Nach ermüdenden Sichtungssequenzen kam unvermittelt der Juso-Vorsitzende Scherf ins Bild – „das kann man doch nicht wegschmeißen!“

2005 hat Knauf an die 700 Filme bekommen, „das war ein besonders gutes Jahr“. Aber: „Es geht nicht nur darum, möglichst viel anzuhäufeln, wir müssen mit unseren Sachen auch nach draußen gehen.“ Also konzipiert er Filmreihen, etwa zusammen mit dem Focke-Museum oder bald mit dem Hafenmuseum, und schneidet seine Schätze auch selbst zusammen. Für die DVD „Vom Dritten Reich zum Wirtschaftswunder: Bremen und Bremerhaven 1933-1955“ hat er sogar den Comenius-Preis bekommen, die älteste europäische Auszeichnung für „didaktisch herausragende Multimedia-Produkte“ . Erst kürzlich erschien Knaufs „Kindheit und Jugend in Bremen 1920 - 1970“. Es geht Knauf darum, Filme als historische Quellen einordenbar zu machen, von Guido Knopps suggestiven Geschichts-Serien im ZDF hält er entsprechend wenig. Dort würden dieselben Soldatenbilder nachweislich in verschiedenste Kontexte montiert, was einem Fachmann wie Knauf sauer aufstößt – zumal, wenn er sich explizit der Vermittlung „medienkritischer Fähigkeiten“ in Schulen und Bürgerhäusern verschrieben hat. Sein Credo: „Unsere Kultur ist nach wie vor auf das Schriftliche fixiert und nimmt den Film als historische Quelle nur marginal zur Kenntnis. Das Landesfilmarchiv will an den etablierten Zuständen etwas ändern.“ Was in diesem Fall nicht vor, sondern hinter der eigenen Haustür beginnt.