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Archiv-Artikel

Engel der Gemeingüter

PANTER-PREIS-KANDIDAT III Der in Berlin beheimatete Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V. warnt vor den katastrophalen Folgen der Privatisierungen, um Gemeingüter zu schützen – für das Allgemeinwohl

Engagement für Demokratie

■ Wer? Der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V. ist ein privatisierungskritisches Netzwerk, das sich 2010 zusammengeschlossen hat. Sie setzen sich ein für die Bewahrung und umfassende Demokratisierung aller öffentlichen Institutionen, insbesondere der Daseinsvorsorge, und für die gesellschaftliche Verfügung über die naturgegebenen Gemeingüter.

■ Aktuelle Aktion? BürgerInnen, die sich gegen PPP einsetzen wollen, bietet GiB über ihre Webseite die Möglichkeit, einen offenen Brief mit konkreten Forderungen an die im Herbst neu gewählten Abgeordneten des Bundestags mit zu zeichnen. (gl)

VON GINA BUCHER

In dem unscheinbaren Büro des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V. im Berliner Stadtteil Friedrichshain liegt gerade eine große, selbstgemalte Deutschlandkarte mit vielen leuchtend roten Punkten. Die meisten sind bei den Ballungsräumen aufgeklebt, tendenziell mehr im Westen als im Osten. „Das sind noch nicht einmal alle PPP-Projekte“, erklärt Laura Valentukeviciute, 32, Gründungsmitglied des Vereins, mit Blick auf die Karte, „momentan laufen deutschlandweit mehr als 300 solche Projekte“. Die drei P, die sie sympathisch weich, doch nicht ohne skeptischen Unterton ausspricht, stehen für Public Private Partnerships (PPP), auf Deutsch öffentlich-private Partnerschaften.

Mit der Karte will das privatisierungskritische Netzwerk GiB am nächsten Tag vor dem Kanzleramt darauf aufmerksam machen, dass viele der PPP-Projekte für die öffentliche Hand schädlich und für die Öffentlichkeit undurchschaubar sind. In einem offenen Brief fordern sie die Abgeordneten dazu auf, laufende PPP-Verträge zu beenden und neue zu verhindern. Bis zur Bundestagswahl am 22. September sollen im Rahmen einer Petition Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt werden.

PPP-Verträge legen Gemeingüter wie Wasser, Bildung, Verkehr und Energie in die Hände privater Unternehmen und entziehen sie damit jeder demokratischen Kontrolle. PPP ist die aktuelle Form der Privatisierung, die in Zeiten knapper Kassen den Kommunen aufgenötigt wird.

Das Berliner Wasser ist nur ein Beispiel, die Elbphilharmonie in Hamburg oder Schulen im Landkreis Offenbach sind weitere. Das Prinzip ist häufig das gleiche: Die öffentliche Einrichtung wird von einem privaten Konzern saniert oder gebaut und von diesem an die Bevölkerung für teuer Geld zurückvermietet. Die Kommune wird damit vom Eigentümer zum Mieter. Die angeblichen Einsparungen entpuppen sich in den meisten Fällen als vorgetäuscht. Denn die privaten Investoren bauen auch nur mit Krediten, die sie in der Regel zu schlechteren Bedingungen bekommen als die Kommunen. Und darüber hinaus enthalten die meisten PPP-Verträge Gewinngarantien für die Laufzeit von 25 bis 30 Jahren. Letztlich profitieren von den PPP Konzerne, Berater, Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien und Banken.

„Wir sind gegen Privatisierung, wir verlangen aber auch, dass die öffentlichen Einrichtungen gründlich reformiert werden“, stellt Dorothea Härlin, 66, ebenfalls Gründungsmitglied, klar. Die meisten sprechen sich gegen Privatisierungen aus. „Ihnen wollen wir eine Stimme geben.“ Die pensionierte Lehrerin kam über den Kampf um das Wasser zu ihrem Engagement für die Gemeingüter. Wenn sie davon spricht, dass die öffentliche Bereitstellung von Wasser ein Menschenrecht ist, schüttelt sie energisch ihr braunes, schulterlanges Haar, die anderen am Besprechungstisch nicken. Neben ihr und Valentukeviciute sitzen da auch Lissi Dobbler, 34, und Jürgen Schutte, 75.

„Ich habe gelernt, dass man durch Widerstand eine Menge erreichen kann. Auch wenn es am Anfang nur wenige, aber Entschlossene sind“

Die vier Männer und Frauen erläutern die Anliegen von GiB. Erwähnt einer von ihnen ein konkretes Stichwort, ergänzt ein anderer sofort den größeren, abstrakteren Hintergrund – oder umgekehrt. Die PPP sind komplex und nicht immer auf Anhieb verständlich. So versteht der Verein auch sein Engagement: vernetzen, komplizierte Begriffe erklären und damit das Rüstzeug geben, sich zu wehren. Schließlich werde dabei immer Personal ausgedünnt, betont Valentukeviciute, „alle Menschen sind davon betroffen“.

Herzstück ihrer Arbeit ist die Webseite gemeingut.org und das Archiv, das Jürgen Schutte betreut. Der emeritierte Professor für Literaturwissenschaft ist ebenfalls Gründungsmitglied und im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Er unterstreicht die Demokratiefrage, denn „wenn wir nichts mehr haben, wenn alles verkauft ist, können die Parlamente schließen“. Alle Informationen zu PPP, erklärt er, stehen im Internet. Er stelle lediglich Zusammenhänge her.

Die Datenbank des Vereins enthält derzeit rund 2.000 Texte, Angaben über 800 Personen, 500 Institutionen und etwa 1.000 Stichwörter. Schutte spricht bedächtig. Es sei ja nicht so, dass man über PPP nicht informiert würde, sagt er, es gebe viele Broschüren, Selbstdarstellungen von Firmen, Projektlisten. „Doch wir stellen fest: Es gibt kaum brauchbare Daten.“ Das, was veröffentlicht werde, sei oft irrelevant, denn die wichtigen Stellen in den Verträgen blieben geheim.

Mit dem Archiv behält GiB auch die gescheiterten PPP-Projekte in Erinnerung. Der Verein verbucht es als Erfolg, dass die Befürworter sich inzwischen angegriffen fühlen. „Wenn wir auch als Ideologen und Meckerer bezeichnet werden: Wir werden zitiert, das ist für unsere Arbeit ein Kompliment“, erklärt Schutte.

Für den Schutz der Gemeingüter engagieren sich ganz unterschiedliche Menschen – gemeinsam ist ihnen die Unzufriedenheit über die Geheimhaltung der PPP-Verträge, die Weggabe der Gemeingüter an private Gewinninteressen und die Suche nach Formen demokratischer Kontrolle.

taz.panterpreis 2013

■ Nominierte: Sechs KandidatInnen hat unsere Jury für den Panter Preis 2013 vorausgewählt. Es ist ein Preis für Einzelpersonen und Initiativen, die sich mit großem persönlichem Einsatz für andere stark machen und mutig Missstände aufdecken.

■ Verleihung: Zwei mit je 5.000 Euro dotierte Preise werden vergeben. Den ersten ermittelt eine taz-Jury mit prominenter Hilfe, den Preis der LeserInnen vergeben Sie. Am 14. September werden – Schirmherrschaft: die taz Panter Stiftung – im Deutschen Theater Berlin die Preise verliehen.

■ Portraits: In der taz.am wochenende stellen wir KandidatInnen für den Panter Preis 2013 vor. Jüngst waren es die SeniorInnen der Stillen Straße aus Berlin-Pankow und die AktivistInnen vom Flüchtlingscamp Berlin. Heute folgen die NetzwerkerInnen Gemeingut.

■ Wahlen: Ab 6. August haben Sie die Möglichkeit, Ihre Nummer eins zu wählen: per Mail (panter@taz.de), per Post oder auf www.taz.de/panter.

Jürgen Schutte illustriert dies wunderbar anschaulich anhand des gesetzlich verordneten Blitzableiters, der auf jedem Haus zu stehen hat, sowie des Notarztes, der für einen Menschen im gegebenen Fall da ist, ohne vorher nach der Zahlungsfähigkeit zu fragen. „All diese Errungenschaften, die unseren Staat so liebenswert machen, sollten wir schützen“, fasst er die Bedeutung der Gemeingüter zusammen. Und die halb so alte Lissi Dobbler, die sich um das Fundraising des Vereins kümmert, argumentiert mit dem Blick der Dreißigjährigen: Es genüge nicht, nur das Konsumverhalten zu ändern. Das sei ein weitverbreitetes Credo ihrer Altersgruppe, erklärt sie mit charmantem österreichischem Akzent, „doch es muss sich strukturell etwas ändern, Menschen müssen ihre Rechte einfordern.“

Den Finger auf die wunden Stellen zu legen, welche die Politik der Privatisierungen aufreißt, das ist dem Verein in seiner erst kurzen Geschichte seit 2010 bereits mehrmals gelungen: 2011 unterstützten sie das Volksbegehren über die Offenlegung der geheimen Berliner Wasserverträge, 2012 führte der Bundestag eine Anhörung mit einem GiB-Aktivisten zur fehlenden Transparenz bei PPP-Verträgen durch, Anfang 2013 wurden die Privatisierungspläne eines Abschnitts der Autobahn A 7 gestoppt – immer wieder machen sie mit Aktionen auf die Treffen der PPP-Lobbyisten aufmerksam. Davon erzählen die vielen Requisiten, die im Büro an den Wänden lehnen und auch für Aktionen an andere Gruppen verliehen werden. Sprechblasen etwa, dass Wasser keine Ware sei, oder ein großes blaues Autobahn-Signet.

Die jungen Frauen schmunzeln, wenn die beiden Altachtundsechziger von den einst hitzigen Grabenkämpfen in den siebziger Jahren erzählen, in denen es oft sehr abstrakt um Marx und Mao ging. Und sie freuen sich, wenn Dorothea Härlin ihre politische Erfahrung positiv bilanziert: „In meinem Leben habe ich gelernt, dass man durch Widerstand eine Menge erreichen kann. Auch wenn es am Anfang nur ein paar wenige, aber Entschlossene sind.“