Völkermord vor höchstem UN-Gericht

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag verhandelt ab heute die Klage Bosniens und Herzegowinas gegen Serbien-Montenegro. Sarajevo will endlich historische Genugtuung und Entschädigung. Doch die Klage könnte unzulässig sein

VON CHRISTIAN RATH

Rund vierzehn Jahre nach Beginn des Bosnienkrieges beginnt jetzt die völkerrechtliche Aufarbeitung des Konflikts. In einem neunwöchigen Großverfahren verhandelt der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag ab heute über eine Klage Bosnien-Herzegowinas gegen Serbien-Montenegro. Der Vorwurf lautet Völkermord. Eingereicht wurde die Klage schon am 20. März 1993: Die Republik Jugoslawien solle ihre Unterstützung für den Genozid an der Bevölkerung von Bosnien-Herzegowina sofort einstellen. In zwei Interimsbeschlüssen forderte der IGH im April und September 1993 beide Seiten ergebnislos auf, den blutigen Konflikt sofort einzustellen. Der Krieg um die Vorherrschaft im Vielvölkerstaat Bosnien endete erst mit dem Dayton-Abkommen von Ende 1995, als Bosnien zu einem föderalen Staat mit einem serbischen und einem bosnisch-kroatischen Teil erklärt wurde.

Im jetzt beginnenden Hauptsacheverfahren vor den 15 Den Haager UNO-Richtern geht es Bosnien-Herzegowina vor allem um die historische Genugtuung und die Zahlung von Entschädigungen. In den vergangenen Jahren waren unzählige Schriftsätze ausgetauscht worden. Unter anderem hatte Serbien zwischenzeitlich dem bosnischen Staat Völkermord an bosnischen Serben vorgeworfen. Diese Gegenklage hatte Serbien jedoch nach dem Sturz des Präsidenten Slobodan Milošević 2001 wieder zurückgenommen.

Zur Eröffnung des Prozesses, den die britische IGH-Präsidentin Rosalyn Higgings leitet, ist die bosnische Seite am Zug. „Wir werden die ganze Breite der ethnischen Säuberungen darstellen“, sagte der niederländische Anwalt Phon van der Biesen, der Bosnien vertritt. Man werde allerdings keine Zeugen, sondern vor allem wissenschaftliche Experten präsentieren. Außerdem können sich die Bosnier auf Urteile des Jugoslawien-Tribunals stützen, das ebenfalls in Den Haag seinen Sitz hat. Dort wurde etwa das Massaker in Srebrenica, bei dem mehrere tausend Muslime ermordet wurden, als „Völkermord“ eingestuft.

Ähnlich wie im Fall des ebenfalls vor dem Jugoslawien-Tribunal angeklagten Milošević dürfte es auch im jetzt beginnenden IGH-Prozess nicht leicht sein, die Verantwortung Jugoslawiens für die Exzesse der bosnischen Serben im Nachbarstaat zu beweisen. Hauptfiguren dort waren die heute noch gesuchten Radovan Karadžić und Armeeführer Ratko Mladić.

Der jetzt beklagte serbische Staat, der am 8. März zum ersten Mal zu Wort kommt, dürfte beantragen, die bosnische Klage für unzulässig zu erklären. Er hat dabei gute Chancen, denn 2004 hat der IGH eine Klage Serbiens gegen die Nato-Staaten wegen des Kosovokriegs von 1999 ebenfalls als unzulässig eingestuft. Dabei hat der IGH die These entwickelt, dass Jugoslawien 1992 aufgelöst wurde und seine Mitgliedschaft in der UNO bis zum Jahr 2000 verlor, als Serbien-Montenegro eine neue Mitgliedschaft beantragte.

Serbien wird nun wohl argumentieren, dass es unfair wäre, serbische Klagen mangels UNO-Mitgliedschaft als unzulässig einzustufen, zugleich aber Klagen gegen Serbien zuzulassen.Die IGH-Verhandlung soll am 9. Mai enden. Das Urteil wird einige Monate später erwartet.