Von einer Stadt mit Mundgeruch

POP Am Anfang war die Hoffnung auf eine glückliche Symbiose von Partymusik, Girlpunk, Schlager und Esprit. Jetzt legt die Berliner Band The Toten Crackhuren im Kofferraum mit „Mama, ich blute“ ihr zweites Album vor

■ Das Album „Mama, ich blute“ von The Toten Crackhuren Im Kofferraum erscheint auf Destiny Records am 26. Juli.

■ Diesen Samstag gibt es bei der „Party! Party! Hits! Hits!“-Party im Astra ein Crackhuren-DJ-Set (23 Uhr, Revaler Str. 99). Und live spielen sie am 10. August um 20 Uhr im Rahmen der Hanfparade bei der „Crazy Neighbours“-Aftershowparty, Altes Stasi-Gelände Magdalenenstraße.

■ Im September treten die Crackhuren beim Bundesvision Song Contest für Sachsen (zwei Bandmitglieder stammen aus dem Bundesland) an.

VON JENS UTHOFF

Nun bluten sie also doch noch. Es hat lange gedauert, bis das Zweitwerk der Berliner Band The Toten Crackhuren im Kofferraum fertig wurde. „Wir mussten zwischendurch noch arbeiten – wir haben Frozen Yogurt am Potsdamer Platz verkauft“, erklärt Frontfrau Luise Fuckface stichhaltig die Verspätung von „Mama, ich blute“, das ursprünglich bereits vor einem Jahr hätte erscheinen sollen. Dabei sind die Crackhuren doch eigentlich „smart und arbeitsscheu“, wie sie in dem Song „Geniale Asoziale“ verkünden.

The Toten Crackhuren im Kofferraum machten mit ihrem Debüt „Jung, talentlos & gecastet“ im Jahr 2010 Hoffnung darauf, dass Partymusik, Girlpunk, Schlager und Esprit sich zu einer glücklichen Symbiose zusammenfinden könnten. Na ja, erst mal sorgten sie natürlich wegen ihres Namens für Aufsehen, dann aber auch wegen des unterhaltsamen Asi-Charmes, den sie an den Tag legten. Dass Trash-Songs wie „Ich und mein Pony“ oder „Ronny und Clyde“ vom Publikum gut angenommen wurden, lag nicht zuletzt daran, dass die Zielgruppe recht groß war – grob alle Menschen zwischen 2 und 99 Jahren.

Im Prinzip konnten die derzeit sieben Mädels und drei Jungs mit dem Folgealbum nur verlieren. Den Witz und Trash, den das erste Album bisweilen hatte, galt es genauso zu erhalten wie den Effekt, den eine Horde Mädels in der Postpubertät auslöst, die über Teensex und Abstürze singt und dazu schräge Performances liefert. Saufende, fickende, menstruierende Mädchen, das taugt vielleicht singulär noch zum künstlerischen Rebellionsgestus – das Prinzip aber überholt sich schnell.

„Mama, ich blute“ beginnt mit einer passablen technoiden Hommage an die einstigen norwegischen Überrocker von Turbonegro und an das hiesige Kopfschmerzbier Nummer eins („The Age Of Sternburg“). In den folgenden elf Stücken gibt es einige Reminiszenzen an NDW und New Wave, Elektropunk und Eurodance, dann aber auch Schlagertracks, bei denen man sogar auf das Kopfschmerzbier Nummer eins zurückgreifen würde, um sie zu ertragen.

Die (Selbst-)Ironie funktioniert nicht immer, in „Geniale Asoziale“ mit dem erfrischenden Früh-80er-Touch noch am ehesten. Auch in „Ich brauch keine Wohnung“ zeigen die Crackhuren, dass sie mitunter in ihren Texten den Punkt treffen: „Meine Stadt hat Mundgeruch / Ich hör die Gullys atmen“, dichtet Frau Fuckface, ehe sie sich mit der Wohnungssuche in dieser Stadt auseinandersetzt.

Dabei nehmen die Crackhuren Aufwertungsprozesse in bestimmten Bezirken durchaus ernst: „Da wird ja gerade so viel gnadenlos weggeballert, das ist übel“, sagt Fuckface und spricht dann von Neosnobs in Kneipen nahe dem Kottbusser Tor, die sich über Obdachlose, die die Motz verkaufen, amüsieren. „Da könnt ich schon kotzen“, so Fuckface.

Direkt, ehrlich, prollig

Auch eine Hommage an das hiesige Kopfschmerzbier Nummer eins

Direkt, ehrlich, prollig geben sich die Sängerinnen Fuckface und Nedja Triebeltäter auch beim Gespräch im Kreuzberger Café. Triebeltäter hat ihren Sohn dabei, der ebenfalls bandintern produziert wurde. Die Mutter trinkt alkfreies Bier, während Fuckface Berliner Weiße ordert. Man philosophiert über Achselhaare bei Männern, ob Ailton oder Micaela Schäfer die bessere Figur im Dschungelcamp gemacht hat oder was es mit Konzeptalben über Penise auf sich hat. Ein solches hat Fuckface mit ihrer anderen Combo Lulu + die Einhornfarm aufgenommen. Also nicht ganz: „Nee, ums Saufen geht’s auch.“

Das Album erscheint zeitgleich mit dem Crackhuren-Release, bei dem mit Bela B. im Song „Du fehlst mir“ auch Prominenz mitwirkt. Hyde, ein Rapper aus dem Umfeld der Band, und Joey Coco von der Band Schrottgrenze gastieren ebenfalls. Der Song „Wir werden nicht nüchtern“ sprengt allerdings wirklich jede Schrottgrenze und hat eigentlich keinen Platz auf dem Album verdient.

Auch wenn die Crackhuren nicht gänzlich scheitern: Sie scheitern. Ihre Musik basiert auf selbstironischen Texten, die manchmal ins Schwarze treffen. Sobald dies aber nicht funktioniert oder sie gar sentimental werden, entziehen sie ihrer Kunst die Grundlage. Und das passiert in den zwölf Tracks einige Male. Besser, sie stillen die Blutungen schnell.