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Archiv-Artikel

Viel Zeit zum Sterben

IKONE Sie war Fotomodel, Schauspielerin, Sängerin und Muse Andy Warhols – zum 25. Todestag von Christa Päffgen alias Nico zeigt das Kino in der Brotfabrik eine kleine Retrospektive

Drogen waren für Nico ein Weg, von ihrem Model-Image loszukommen

VON ANDREAS BUSCHE

Es spricht für die Unbestechlichkeit von Andy Warhols einwandfreiem Konzept der Screen-Tests, dass sein vierminütiger Film mit Nico im Grunde schon die Quintessenz der damaligen Velvet-Underground-Sängerin enthält: eine Distanziertheit und stille Trauer, umrahmt mit einer Erschöpfung, die oft mit Langeweile verwechselt wurde. In dieser auratischen Grauzone verliefen die Übergänge von der Kunstfigur Nico zu Christa Päffgen, so ihr bürgerlicher Name, nahtlos. Der leicht hochmütige Blick, ihre gespitzten Lippen, der blasierte Blick in die Ferne fungieren als Maske gegenüber dem aufdringlichen Voyeurismus Warhols, der aus dem knallharten Versuchsaufbau hinter dem Experiment der „Screen Tests“ nie einen Hehl gemacht hatte. Aber je länger die Kamera auf ihr Gesicht hält, das Nico im Halbschatten zu verbergen versucht, desto deutlicher kommt in ihren Blicken eine tiefgründige Melancholie zum Vorschein, die später selbstzerstörerische Züge annehmen sollte.

„Screen Test: Nico“ ist nicht nur ein faszinierender Blick in die Persönlichkeitsstruktur der Warhol’schen Factory. Er zeigt auch, was Nico in diesem Ensemble schillernder Figuren so einzigartig machte. Sie existierte, im Gegensatz etwa zu Edie Sedgewick, Ultra Violet oder Ingrid Superstar, auch außerhalb von Warhols Sphären. Ihre Haltung gegenüber der Kamera war schon damals professionell. Sie hatte eine kurze Karriere als Fotomodel (für Chanel) und mäßig erfolgreiche Schauspielerin (unter anderem in Fellinis „Dolce Vita“ und Jacques Poitrenauds „Striptease“) hinter sich, als sie 1965 zur Factory stieß.

Ihr Status als Society-Mädchen verschaffte Nico Zugang zu Warhols innerem Kreis, und er war es auch, der mit seinem „Screen Test“ früh eine Abgründigkeit hinter der glamourösen Fassade aufspürte. Dieser deutsche Hang zur schwerblütigen Romantik wurde mehr noch als ihr deutscher Akzent zu Nicos Markenzeichen: eine blonde, hochgewachsene Walküre mit „Haut aus Milch und Glas“, wie ihre Mutter in der Dokumentation „Nico Icon“ sagt. Kein Wunder, dass ihr die Männer reihenweise verfielen: Alain Delon, Jim Morrison, Lou Reed, Bob Dylan. Aber so nah wie Warhols Kamera ist ihr vielleicht nie jemand gekommen.

Heute vor 25 Jahren starb Christa Päffgen bei einem Urlaub auf Ibiza. Entdeckt wurde sie Mitte der fünfziger Jahre am Kudamm von Herbert Tobias, begraben liegt sie auf dem Friedhof Grunewald-Forst in Wilmersdorf. Anlass genug für das Kino in der Brotfabrik, Nico eine kleine Rückschau zu widmen, die (zwangsläufig) ebenso viele Leerstellen und offene Fragen aufweist wie ihre eigene Biografie. Viel Bildmaterial ist heute nicht verfügbar, was angesichts ihres ikonischen Status verwundert. Die Retrospektive umfasst die Dokumentation „Nico Icon“ (1995) von Susanne Ofteringer, die Stendhal-Verfilmung „Über die Liebe“ (1964) mit Michel Piccoli sowie einen selten gezeigten Proberaumauftritt mit Velvet Underground aus dem Jahr 1966: Hier kann man Nico eine Stunde dabei zusehen, wie sie etwas lustlos die Handtrommel spielt, während ihr Sohn Ari zwischen Lou, John und Sterling herumläuft.

Instruktiv für Nicos späte Karriere aber sind zwei Konzertmitschnitte ihrer Band The Faction aus den achtziger Jahren, die wie die Bilder eines angekündigten Todes wirken. Nico war damals schwer auf Heroin, wie ihr damaliges Bandmitglied James Young in seinem Buch „Songs They Never Play on the Radio“ ausführlich beschrieb. Warhol-Weggefährte Paul Morrissey erzählt in Legs McNeils Punkbuch „Please Kill Me“, dass Drogen für Nico ein Weg waren, von ihrem Model-Image loszukommen. „Sie machte sich absichtlich hässlich. Sie nahm sich viel Zeit zum Sterben.“ Die Konzertfilme dokumentieren das späte Stadium dieser Selbstzerstörung. Nico aber hat sich auch noch einmal neu erfunden: als Gothpunk-Ikone. Sie nimmt damit den Ball wieder auf, den sie mit ihrem Album „Marble Index“ dunklen Chanteusen wie Siouxsie Sioux, Lisa Gerrard und Björk vorgelegt hatte. Ihr monochromer, nackter Gesang klingt dabei noch verlorener als zu Velvet-Zeiten.

■ Nico zum 25. Todestag: bis 24. 7. im Brotfabrik-Kino, Caligariplatz 1, mit u. a. „De l’Amour“ und „Nico Icon“. Infos & Programm: www.brotfabrik-berlin.de