piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ich bin Schiri, kein Richter“

SCHIEDSRICHTER Der Israeli Abraham Klein und sein spezielles Verhältnis zu Deutschland

„Ich sehe die Spieler immer nur als Spieler und nicht als Repräsentanten einer Täter- oder Opfernation“

ABRAHAM KLEIN

VON TORSTEN HASELBAUER

Die wundersame Schiedsrichtergeschichte von Abraham Klein, die so eng mit Deutschland verbunden ist, begann schon bei seiner Geburt. Im rumänischen Temeșvár ist Klein am 29. März 1934 geboren. Keine gute Zeit war das damals und für eine jüdische Familie wie die Kleins erst recht nicht. Der Vater war ein ungarischer Fußballer. Klein wurde Schiedsrichter, der Beste den Israel je hatte. Und er pfiff bedeutsame, in der Nachbetrachtung sogar historische Spiele. Aus deutscher Sicht jedenfalls.

Diese Karriere beginnt für Abraham Klein zwanzig Jahre nach Kriegsende. Zuvor überlebt er den Holocaust in seiner Geburtsstadt, weil er mit seiner Mutter wechselnden Unterschlupf bei Freunden findet. Kleins Vater ist bereits 1938 nach Palästina ausgereist. Sein Sohn folgt ihm mit seiner Mutter im Jahr 1947 per Schiff von Rotterdam. Den meisten Angehörigen der in ganz Europa verstreuten Familie Klein ist das nicht gelungen. Sie wurden zuvor in Konzentrationslagern ermordet.

Der Kaufmann Abraham Klein entscheidet sich 1960 Schiedsrichter zu werden. Ein Freund, ein Schiedsrichter, nahm ihn mit zu einem Spiel zweier Betriebsmannschaften in Tel Aviv. Klein durfte sogar mal zehn Minuten pfeifen. Danach stand für ihn fest, das Schiedsrichterwesen ist seine Leidenschaft. Abraham Klein klettert in der flachen Hierarchie der Unparteiischen in dem kleinen Fußballland Israel schnell nach ganz oben. Bereits 1964 pfeift Klein er in der ersten israelischen Liga, kurze Zeit später auch international.

Im Sommer 1969 ruft der israelische Fußballverband bei ihm an. Bayern Hof, ein damals in der Regionalliga Süd ziemlich erfolgreiches Team, reist nach Israel. Eine Art feucht-fröhliche Saisonabschlussfahrt. Strand, Bier, das Übliche, wenn Fußballmänner auf Reisen gehen. Zwei Spiele gegen israelische Teams standen auch noch auf dem Programm. Ein Politikum. Es wurde ein Schiedsrichter gesucht. Der israelische Verband wusste um die Geschichte der Familie Klein. Aber aus der hohen Wertschätzung vor den Fußballgästen aus Deutschland wollte man den besten Schiedsrichter des Landes stellen. Das war Abraham Klein.

„Ich habe kurz nachgedacht. Dann ein kräftiges Ja gesagt. Sehr zur Verwunderung des Verbands und meiner Eltern. Der Verband freute sich, meine Eltern schwiegen“, erinnert sich Klein. „Ich bin Schiedsrichter und kein Richter in einem Tribunal“, sagte sich Klein auch noch, bevor er dann am 12. Juli 1969 das Spiel einer Regionalauswahl von Nahariya gegen Bayern Hof leitet.

Dafür gab es wütende Proteste in Israel. Klein wurde für seine Entscheidung offen angefeindet. Ein Mann, der als Kind den gelben Stern tragen musste und einen Großteil seiner Familie im Holocaust verlor, der darf doch nicht einem deutschen Fußballer vor dem Anpfiff die Hand schütteln, hieß es. „Ich habe es trotzdem gemacht“, sagt Klein fast trotzig.

Götz Gemeinhardt hat einen Dokumentarfilm über die Hofer Sommerreise aus dem Jahr 1969 gedreht. Gemeinhardt ist im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem damaligen Kapitän der Hofer, Walter Greim, und dem Klubpräsidenten, Franz Anders, die Strecke von einst noch einmal abgefahren. Sie besuchten die Hotels, die Strände, die Fußballplätze, trafen sich mit den israelischen Spielern und selbstverständlich mit dem Schiedsrichter Klein. Beim Drehen und der Recherche haben sie schließlich entdeckt, was sie da eigentlich auf die Schliche gekommen sind. „Es war das erste Spiel einer deutschen Fußballmannschaft in Israel“, erklärt der Sporthistoriker Manfred Lämmer in dem schönen, leisen Film „08397B“.

„Für mich war es der größte Tag in meinem Schiedsrichterleben“, sagte Klein. „Weil ich mir sicher war, dass ich beim Pfeifen die Politik und meine Gefühle zu Hause lassen kann. Dass ich alle Spieler gleichbehandeln kann, egal woher sie kommen. Ich sehe die Spieler immer nur als Spieler und nicht als Repräsentanten einer Täter- oder Opfernation oder einer bestimmten religiösen Gruppe“, das fand Klein an diesem Nachmittag heraus. Es war Kleins erstes Spiel mit deutscher Beteiligung. Viele, ganz besondere, sollten noch folgen.

Zunächst pfiff er fast alle Matches von Borussia Mönchengladbach, die in den 1970er-Jahren oft zum Trainingslager nach Israel reisten. Auf ausdrücklichem Wunsch vom Gladbacher Kapitän Günther Netzer übrigens. 1970 wurde Klein bei der Weltmeisterschaft in Mexiko eingesetzt. Und eigentlich rechnete jeder damit, dass er auch 1974 bei der WM in Deutschland zum Einsatz kommen würde. „Ich dachte schon ans Kofferpacken“, erinnert sich Klein.

Anfang 1974 teilte ihm jedoch die Fifa mit, dass er nicht berücksichtigt wird. Wegen des Terroranschlages gegen das israelische Team zwei Jahre zuvor bei den Olympischen Spielen in München wollte und konnte der Weltfußballverband nicht für die Sicherheit des jüdischen Schiedsrichters Klein in Deutschland garantieren. „Ich akzeptierte das und hatte wohl auch keine andere Wahl“, erinnert sich Klein.

Aber für die nächste Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien wird er nominiert. Und für ein besonderes Spiel. Deutschland tritt in Córdoba gegen Österreich an. Dass Klein es pfeifen soll, passt so einigen nicht. Die jüdische Gemeinde in Argentinien ist stark. Sie versucht Druck auf Klein auszuüben. Warum denn gerade ein jüdischer Schiedsrichter das Spiel zweier Täternationen pfeifen sollte, ging so manchen in der jüdischen Community nicht in den Kopf. „Wie kannst du nur?“ wurde Klein immer wieder vorgehalten. Er leitete dieses Spiel ohne Furcht und Tadel. Deutschland verlor 2:3. Dieses Ereignis ging in Deutschland als „Der Schmach von Córdoba“ in die Fußballgeschichte ein.

Auch vier Jahre später, zur Weltmeisterschaft in Spanien, ist Abraham Klein erneut als Schiedsrichter gesetzt. Abermals ist er für ein für Deutschland höchst wichtiges Match nominiert. Diesmal als Linienrichter im WM-Endspiel Deutschland gegen Italien. Italien wird Weltmeister, Proteste gegen Klein von jüdischer Seite blieben aus. „Die Lage hatte sich endlich normalisiert. Im letzten Spiel meiner Karriere“, erinnert sich der Referee.

Abraham Klein beendet nach der WM 1982 seine Laufbahn. Jetzt hat er seine Biografie veröffentlicht. „The Master of the Whistle“ erscheint in diesem Monat im israelischen Sportverlag Glory. Eine Übersetzung ins Deutsche ist geplant.

■ Der Film „08397B“ wird am Sonntag auf dem Fußballfilmfestival „11mm“ um 15.30 Uhr in Berlin (Kino Babylon) uraufgeführt