: Akten pflastern seinen Weg
VON HENK RAIJER
Warum er Polizist geworden ist, hat sich Norbert Horst nicht nur einmal gefragt. „Ich bin mit 18 ziemlich blauäugig durch die Welt gelaufen“, sagt der schlanke, jugendlich wirkende Mann mit der blonden Mähne, der vor wenigen Tagen 50 geworden ist. „Was genau mich dazu gebracht hat, bei der Polizei anzuheuern, weiß ich nicht mehr, aber meiner Mutter zu Folge muss ich richtig begeistert gewesen sein von der Vorstellung“, erinnert sich der Kriminalhauptkommissar in Diensten der Polizei NRWs. „Einige meiner Fußballfreunde in Bad Oeynhausen, wo ich herkomme, fragten mich damals, ob ich noch ganz dicht wäre“, erzählt Horst, der nach Stationen im Streifendienst und bei der Mordkommission seit nunmehr zehn Jahren als Verhaltenstrainer am Polizeifortbildungsinstitut in Schloss Holte-Stukenbrock tätig ist – und nebenher gerade seinen dritten Krimi zu Ende schreibt.
Konstantin Kirchenberg heißt das Alter Ego des schreibenden Kriminalers, der für seinen Roman „Leichensache“ den Friedrich Glauser Preis 2004 für das beste Krimidebüt und vor wenigen Wochen den Deutschen Krimi-Preis 2006 für „Todesmuster“ erhalten hat. Und sein Kirchenberg ist so cool, wie der Stil der Romane trocken und unprätenziös ist. Obwohl Horst die Plots und Schilderungen sprachgewaltiger Kollegen wie Mankell oder Dan Brown durchaus faszinieren, pflegt der Westfale einen durchweg knappen, lakonischen Stil.
Heftige Bilder im Kopf
Fast protokollartig zeigt Norbert Horst auf, wie sein Kommissar Kirchenberg in „Todesmuster“ einen Mordfall ohne Leiche zu lösen versucht. „Ich will in meinen Plots den Leser so nah an das Geschehen ran lassen, dass er, anders als etwa der Fernsehzuschauer bei einem ‚Tatort‘, keine Sekunde Vorsprung auf den Ermittler hat“, erklärt Horst. Der „Tatort“-Fan bekomme ja von Beginn an einen Hauptverdächtigen frei Haus geliefert.
Mit seinem Stream-of Consciousness-Stil mutet Horst seinen Lesern seitenweise zu, was Kirchenbergs wichtigste Quelle für die Aufklärung seiner Fälle ist: die Akte. „Es gibt nichts Spannenderes als eine gut aufgebaute Mordakte“, sagt Norbert Horst, und an seinem verschmitzten Lächeln erkennt man, dass dies teils seiner Überzeugung entspricht, teils sein Gegenüber provozieren soll. „Nein ehrlich, so ein Befund, die Obduktion, die ersten Vernehmungen, die Berichte und Fernschreiben, die in einer solchen Akte enthalten sind – da baut sich, obwohl kaum etwas zu passieren scheint, ganz allmählich Spannung auf.“
Um Spannung geht es auch in den Seminaren des Beamten hinter dem Autor. In einer alten Baracke auf dem Gelände der Polizeischule in Schloss Holte-Stukenbrock übt Norbert Horst mit jungen Kolleginnen und Kollegen Stressbewältigung, Konfliktmanagement und Kommunikation. Der Seminarraum ist Sperrgebiet für Außenstehende, aber laute Gesprächsfetzen, die nach außen dringen, geben Einblicke in die Arbeit des Polizistentrainers. „Was machst du, wenn du plötzlich Aug in Aug mit einem stehst, den du für den Mörder hälst“, fragt da Norbert Horst eine junge Kollegin. Komme ganz darauf an, so die Reaktion. „Wie läufst du auf den zu, du bist ja nicht gerade der Riese?“ Gelächter im Klassenzimmer.
Warum er Krimiautor geworden ist, muss sich Norbert Horst nicht groß fragen. Aufzuschreiben, was der Alltag eines Kriminalisten hergebe, sei zwar nahe liegend, bis jetzt aber keineswegs die Triebfeder gewesen, sagt Horst – obwohl er sich für die Stofffindung immer wieder bei den Kollegen von der Mordkommission schlau macht. „Geschrieben habe ich immer schon“, sagt Horst. „Das fing in den 70er Jahren mit einer Band an, für die ich die deutschen Texte verfasste“, erzählt er. „Später, Mitte der 80er Jahre, war ich dann in einer Schreibwerkstatt an der Volkshochschule. Dieser Kreis trifft sich noch heute alle zwei Wochen, wir zeigen uns gegenseitig unsere Texte, prüfen, wie sie sich politisch und historisch einordnen lassen und diskutieren über Bilder“, erzählt der Seminarleiter. Der haut in der Pause zwischen zwei Kursen gern mal in die Tasten, wenn ihn Kirchenberg ruft. „Dieser Freundeskreis hat großen Anteil an meinem Werdegang als Autor.“
Und der nötigt mit seinem trockenen Stakkato dem Leser Einiges ab. „Der Leser soll sich seine eigenen Bilder machen“, verteidigt Norbert Horst den kargen Erzählstil. In „Leichensache“ etwa beschreibt Horst eine Obduktion in reinstem Medizinerdeutsch. Und obwohl das eine spröde, völlig funktionale Sprache sei, erzeuge die Beschreibung „heftigere Bilder im Kopf, als dies Adjektive je könnten“, ist Horst überzeugt. „Wenn da etwa steht: ‚Beim Abpräparieren des Schläfenmuskels massenhaft Punktblutungen‘, dann funktioniert das im Kopf.“ Authentizität als Markenzeichen? „Ich wollte versuchen, einen Kriminalroman zu schreiben, in dem nicht viel passiert, der aber trotzdem spannend ist“, sagt Horst. Und während er sich betont lässig in seinen Stuhl zurück lehnt, fügt er hinzu, dass er keinesfalls gestandenen Krimiautoren zeigen wollte, „was eine realitätsnahe Harke ist“.
Bullenklischees
Kirchenbergs dritter Fall nimmt gerade Gestalt an, im Mai muss der Preisgekrönte dem Goldmann Verlag neuen Stoff liefern. „Ich schreibe jede freie Minute“, sagt Horst. Seine Vorgesetzten begegneten seiner Nebentätigkeit durchweg mit Wohlwollen. Dennoch müsse er Lesungen „um den Dienst herum gruppieren“. Der neue Roman entsteht so hauptsächlich im Auto – auf der Fahrt zwischen dem Zuhause in Bünde und seinem Arbeitsplatz. „Der Plot steht, aber an der Ausgestaltung der Szenen hapert‘s noch. Die Ideen für die Dialoge spreche ich auf der Autobahn in ein Aufnahmegerät.“
Obwohl Horst, wie er sagt, die „üblichen Bullenklischees“ habe vermeiden wollen, ist sein Kirchenberg doch der typische Einzelgänger, 24 Stunden dem Mörder auf den Fersen. Einer, der sich in einsamer Nacht philosophischer Komtemplation hingibt und es mit mehreren verheirateten Frauen treibt. Die wollen eigentlich mehr von ihm, spüren aber, dass der Job ihn frisst und einer wie Kirchenberg ohnehin Angst vor Bindung hat.
Auch derbe Witze dürfen nicht fehlen. „Darf ich vorstellen, Rebecca Blew“, heißt es in Todesmuster. „Stattliche Größe, mein Lieber Mann“, denkt sich Kirchenberg. „Bluh?“ – „Ja, Englisch. Wie blasen, blies, geblasen“, klärt die neue Kollegin auf. Solche Anspielungen gehörten zum Alltag auf dem Revier, sagt Horst. Die Polizei sei schließlich bis vor 20 Jahren ein von Männern dominiertes, quasi paramilitärisches Gebilde gewesen. „Das braucht seine Zeit.“ Den Hinweis, seine Bullen seien zynisch, weist er von sich. „Polizisten haben zwar ständig mit Tod zu tun“, sagt Horst. „Aber einer wie Kirchenberg hat 500 Obduktionen hinter sich, das ist Alltag, da kommt kein zynischer Spruch mehr.“
„Nicht mein Ding!“
Es habe Zeiten gegeben, erzählt Norbert Horst, der 32 Dienstjahre auf dem Buckel hat, wo er seine Entscheidung, Polizist geworden zu sein, bereut hat. „Ich komme aus einem sehr konservativen Elternhaus, und meine Emanzipation setzte erst mit 25 ein“, erinnert sich Horst. Hätte er da erneut vor der Wahl gestanden, er wäre wohl nicht bei der Polizei gelandet. „Die Gesellschaft war sehr polarisiert Anfang der Achtziger, die Friedensbewegung war noch stark, es gab Demos ohne Ende.“ Heute sei er zufrieden mit seinem Job, nur laufe seine Anstellung als Verhaltenstrainer im nächsten Jahr aus. Zurück zur Mordkommision nach Bielefeld? „Keine Ahnung, wo die mich dann hinstecken“, sagt Horst. „Wenn ich für den Polizeidienst nicht mehr tauge, könnten sie mich auf Grund meiner Ausbildung auch in die Landesverwaltung stecken. Wäre aber nicht mein Ding. Es gibt eine Menge Tätigkeiten bei der Polizei, die nicht mein Ding wären.“
Noch mal was ganz Neues anzufangen, würde den Vater zweier Kinder, der mit seiner Familie im ostwestfälischen Bünde lebt, schon reizen. Sich ganz dem Schreiben zu widmen, sei aber unrealistisch, damit verdiene man zu wenig, sinniert Norbert Horst. „Wenn ich allerdings so erfolgreich wäre wie Dan Brown, würde ich den Job bei der Polizei drangeben.“ Nicht weil er den Laden doof fände, sondern um einfach mal auszuprobieren, wie es sich anfühlt, jenseits der 50 noch mal einen verschlossen geglaubten Raum aufzustoßen.