Der Tod ist fest eingeplant

Allein auf der Basis von Tatsachen: In „Capote“ zeigt Regisseur Bennett Miller, wie der Schriftsteller beim Versuch, den amerikanischen Albtraum genau abzubilden, allmählich auch selbst deformiert

Wie er kurz vor der Exekution in Tränen ausbricht, weil er endlich versteht, dass er nie helfen konnte, dass sein Wort nicht zählt

von HARALD FRICKE

Der Satz ist schnell dahingesagt. Auf einer New Yorker Cocktailparty wird 1959 der literarische Rummel um James Baldwin diskutiert. Was könne jetzt noch kommen, da Baldwin über die schwule Liebe zwischen einem Schwarzen und einem Juden geschrieben habe. Sofort ist Truman Capote (Philip Seymour Hoffman) mit einem Einwand zur Stelle: Ein Buch allein auf der Basis von Tatsachen, das sei doch das viel größere Wagnis für einen Schriftsteller! Das Gelächter über sein Bonmot ist groß, zufrieden greift sich Capote einen neuen Wodka-Martini.

Die Tatsachen sieht man gleich zu Beginn von Bennett Millers Film „Capote“, als grausames Vorspiel zur spöttelnden Big-Apple-Boheme. In Holcomb, Kansas, ist eine vierköpfige Familie von Einbrechern erschossen worden. Der brutale Raubmord schlägt hohe Wellen, und auch Capote hat damit seine Story aus dem richtigen Leben: Gemeinsam mit Nelle Harper Lee (Catherine Keener) wird er in das Provinzstädtchen reisen, um vor Ort für den New Yorker zu schreiben. Über eine Gemeinde in Angst, über die Wut und die Trauer der Hinterbliebenen.

Die Täter? Interessieren ihn nicht, wie er dem ermittelnden Deputy (Chris Cooper) unmissverständlich erklärt. Denn Capote sucht nur einen Anlass, um sein schriftstellerisches Talent unter Beweis zu stellen. Der Film hat für diesen unbedingten Willen zum Stil hübsch ironische Szenen parat: Wie Capote, der verruchte homosexuelle Dandy mit der sittichhaft zwitschernden Stimme, seinen Charme bei den weiblichen Bewohnern von Holcomb ausspielt, die ihn für „Frühstück bei Tiffany’s“ verehren, während das Buch in der lokalen Bibliothek auf dem Index steht. Wie er sich in der Kirche an die Särge mit den Leichnamen heranschleicht, immer neugierig auf Sensationen. Und wie dem Mann von Welt rasch langweilig wird zwischen kargen Edward-Hopper-Häusern, in deren grieselgrauem Allover sein Kamelhaarmantel wie ein McIntosh-Toffee leuchtet.

Der Wandel kommt mit der Ergreifung der Mörder. Miller zeigt ihn fast beiläufig, nur eine Zeitlupeneinstellung lang: Als er Perry Smith (Clifton Collins Jr.) und Dick Hickock (Mark Pellegrino) das erste Mal gegenübersteht, scheint für den Moment etwas unter der exaltierten und ebenso kühlen Oberfläche von Capote in Wallung zu geraten. Ist es Zuneigung? Mitleid? Sexuelle Faszination? Oder die schlagartige Erkenntnis, dass der Fall ihn literarisch doch komplett in Besitz nehmen wird?

Capotes Gespür war richtig. Aus der launigen Reportage wurde mit „Kaltblütig“ ein packend dicht erzählter Tatsachenroman, an dem er sechs Jahre gearbeitet hat. Mehr als die Summe der Ereignisse ist das Buch ein atmosphärisch aufgeladenes Porträt der USA in Zeiten von Rezession, Armut und sozialen Gegensätzen. Ohne viel Sympathie für Perry Smith und Dick Hickock aufbringen zu müssen, weiß Capote, dass sie mit ihren Taten die versteckte, dunkle Seite einer Gesellschaft verkörpern, die alle Ideale verloren hat. Kaltblütig seien die Morde von Perry gewesen, heißt es zum Ende des Romans in einem Gespräch zwischen zwei Gerichtsreportern, worauf der andere entgegnet: „Aber was ist, wenn man den Bastard aufhängt? Das ist doch auch verdammt kaltblütig.“

Den Film zum Roman gibt es bereits. Richard Brooks hat ihn 1967 gedreht, im folgenden Jahr wurde er für vier Oscars nominiert. Deshalb kann Miller, der mit seiner Dokumentation „The Cruise“ über einen spleenigen New Yorker Fremdenführer 1999 bekannt wurde, auf die True-Crime-Action verzichten und sich darauf konzentrieren, wie Capote beim Versuch, den amerikanischen Albtraum genau abzubilden, selbst allmählich deformiert. In eleganter Biopic-Manier zeigt „Capote“ den Schriftsteller, der Stück für Stück das Vertrauen seiner Protagonisten gewinnt und der dennoch beim Besuch in der Todeszelle stets das zukünftige literarische Meisterwerk vor Augen hat. Es ist ein unendlich subtiler Akt der Verführung, mit dem Capote sich Smith zuwendet, eben weil er ihn, wie er seinem Verleger begeistert berichtet, für eine Goldgrube hält. Umgekehrt setzt Smith seine Hoffnungen auf den Hochglanz-Star, weil dessen Buch die Richter bei der Berufung umstimmen soll. Im Film lässt Miller beide pokern, mit Gesten und Blicken.

Trotzdem ist es Capote, der moralisch immer mehr in Bedrängnis gerät – schließlich verschweigt er Smith, dass sein Tod als Höhepunkt des Romans fest eingeplant ist. Der Film zumindest legt nahe, dass Capote an genau dieser Schwelle von Kunst und Leben gescheitert ist und dass er deshalb nach „Kaltblütig“ nie wieder einen neuen Roman veröffentlichte. Wie Hoffman sich allerdings in dieses Dilemma vortastet, ist eine Sensation. Nicht weil er sich auch physisch in die Statur des echten, schmächtigen Truman Capote hineingehungert hat und noch im Lispeln den gezierten Zungenschlag der grande old Südstaatentunte trifft. Es sind eher die Momente, in denen durch die queere Performance hindurch die dünnen Wände von Capotes Gemütsverfassung sichtbar werden. Wenn er sich betrinkt, weil die beiden Häftlinge wieder Aufschub bekommen haben. Und wenn er kurz vor ihrer Exekution in Tränen ausbricht, weil er endlich versteht, dass er ihnen nie helfen konnte, ja, dass sein Wort nichts zählt, nur der Machtspruch der Gesetze. Dann kommt Hoffman dem Phänomen Mensch, das sich hinter dem Namen Capote gut verschanzt hat, am nächsten.

„Capote“, Regie: Bennett Miller. Mit Philip Seymour Hoffman, Clifton Collins Jr., Catherine Keener, u. a., USA 2005, 114 Min.