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Archiv-Artikel

Alles stürzt dem Abgrund zu

CLASH Im Hebbel-Theater stürzt sich die Berliner Choreografin Constanza Macras mit ungebremster Power in ihre erste Opernbearbeitung und geht auf Kollisionskurs mit „Oedipus Rex“ von Igor Strawinsky

Nie dürfen sich die Stimmen einfach ausbreiten und vom zuschauenden Zuhörer Anteilnahme am dramatischen Geschehen fordern

VON FRANZISKA BUHRE

Unter vielen hängenden Stühlen und anderen Möbelstücken inszeniert die Berliner Choreografin Constanza Macras das Opern-Oratorium „Oedipus Rex“ von Igor Strawinsky als Treiben am Abgrund. Das Bühnenbild von Chiharu Shiota versinnbildlicht gleichzeitig die im Theater allgegenwärtige Gefahr für die Akteure.

Strawinsky widmete sich dem Ödipus-Mythos 1926 gemeinsam mit Jean Cocteau. Er ließ dessen Texte auf Latein übersetzen und stellte dem Chor und den Sängern der Hauptfiguren einen Sprecher beiseite, der in der jeweiligen Landessprache über den Handlungsstand berichtet. Diese Anordnung übernimmt Macras in Grundzügen.

Doch anstatt sich der Versammlung von Orchester, Chor, Tänzern und Sängern auf einer Bühne zu stellen, verweigert sich Macras jedem produktiven Austausch von Klang und Bewegung. Dabei saß im Zuschauerraum des Hebbel-Theaters am vergangenen Freitag schon eine seltene Mischung aus Konzert- und Tanzpublikum. Im Verlauf ihrer ersten „Opernproduktion“ macht Macras aber allzu deutlich, welcher der beiden Kunstformen sie den Vorzug gibt.

Hinter dem Gazeschleier

Die engagierten Musiker der Jungen Philharmonie Brandenburg werden hinter einen Gazevorhang verschleiert, der Dresdner Kammerchor wird zu dessen Seiten abgestellt. Kaum scheint die Bühne groß genug, alle Beteiligten zu fassen. Bevor ein einziger Ton erklingt, schüttelt ein Husten Tänzer und Sänger, denn in Theben wütet schließlich die Pest.

Die Tänzerinnen und Tänzer von Macras Kompanie Dorky Park geben unter Zucken, Springen, Fallen, Rollen und Verrenken das gequälte Volk. Oder sie bewegen das Beziehungsgeflecht menschlicher Paarungen in kraftstrotzenden Duetten. Sie spiegeln die Figuren der Sänger einzeln oder zu mehreren, manchmal folgen sie diesen als Schattengestalt. Solche Momente der Annäherung bleiben selten; einmal rückt ein Sänger eine Tänzerin zurecht, die Sängerin wird von Tänzern getragen.

Doch nie dürfen sich die Stimmen einfach ausbreiten und vom zuschauenden Zuhörer Anteilnahme am dramatischen Geschehen fordern. Was spricht dagegen, den Gesang von Fritz Feilhaber (Ödipus) und Sabine Neumann (Iokaste) als Einladung zum Musikgenuss aufzufassen? Stattdessen spielt Macras die Präsenz von Tänzer- gegenüber Sängerkörpern gnadenlos aus.

Ein Nackter zieht natürlich mehr Aufmerksamkeit auf sich als der singende Bote des Orakels. Wäre nicht die konzentrierte und behutsame Art, mit der die Tänzer einander berühren, greifen und umherwirbeln, müsste man befürchten, sie wären dem verschleißenden Vorgehen ihrer Choreografin vollends ausgeliefert.

Erfinder der Ballettmoderne

Die Produktion, die mit Mitteln der Bundeskulturstiftung möglich wurde, kam im Dresdner Festspielhaus Hellerau heraus und wird vom HAU und einem Theater in Lüttich koproduziert. Kein Wort verliert das Programmheft aus Hellerau dort über Strawinskys Verhältnis zum Tanz, das sich einige Jahre vor Entstehung des „Oedipus Rex“ und auch danach in so unterschiedlichen wie bedeutenden Ballettmusiken niederschlug. Wurde sein „Sacre du Printemps“ 1913 als Frontalangriff auf alle Sinne wahrgenommen, schrieb er 1928 „Apollon Musagète“, mit welchem der Choreograf George Balanchine die Ära des neoklassischen Balletts einläutete. Deshalb lag die Erwartung nahe, dass sich Macras in ihrer Choreografie auch mit Strawinsky als Ermöglicher einer neuen Bewegungssprache auseinandersetzen würde. Stattdessen wirkt die Begegnung wie ein beliebiges Crossover.

Über einen der Tänzer senken sich am Ende alle schwebenden Möbelstücke herab. Und heben sich wieder zum Applaus, bei dem die freudig bewegten und glühenden Gesichter der jungen Musiker dann doch etwas überraschen. Dieses Strahlen hat Macras nicht genutzt.

■ Wieder am 15. und 16. 3. um 19.30 Uhr im Hebbel-Theater