BUSH IN AFGHANISTAN: GUANTÁNAMO LÄSST GRÜSSEN : Ein Blitzbesuch und eine halbe Lüge
Erstmals seit dem Sieg über die Taliban und der US-Invasion vor fünf Jahren besucht George W. Bush Afghanistan. Der US-Präsident verkauft das Land am Hindukusch gern als Modell: im Kampf gegen Terror sowie für eine mögliche Demokratisierung im Orient. Das ist zwar keine glatte Lüge, aber zumindest eine halbe. Denn die eine Hälfte des Demokratie-Modells macht die US-Regierung womöglich gerade selbst vor Ort zunichte. Bush landete auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Bagram, auf dem rund 500 Gefangene rechtlos inhaftiert sind. Die Bedingungen dort sollen sogar schlimmer sein als in Guantánamo.
Die USA betreiben ein gefährliches Doppelspiel: Einerseits sind sie der Weltpolizist, unter dessen Führung am Hindukusch der Wiederaufbau stattfindet. Andererseits sind sie in den Augen der Bevölkerung zusehends unpopulär und teilweise verhasst – geschuldet ist das den Gefängnissen wie in Bagram sowie den zahlreichen Übergriffen der US-Truppen bei militärischen Operationen. Berichte aus Guantánamo und dem Irak tun ein Übriges. Die US-Politik gebiert so einen Teil des Widerstands, dem sie durch Verhöre in den Gefängnissen angeblich ein Ende bereiten will. Angesichts der offiziellen US-Interpretation von Freiheit und Recht ist selbst für wohlmeinende Afghanen schwer erkennbar, warum diese Siegermacht ihnen eine Zukunft mit besserer Moral beschert.
Bushs Besuch hätte auch dem neuen UN-Sonderbotschafter, den Deutschen Tom Koenigs, die Möglichkeit geboten, ein Zeichen zu setzen. Wenn sich schon die deutsche Kanzlerin gegen das Weiterbestehen von Guantánamo wendet, dann müsste Ähnliches auch für den UN-Repräsentanten in Kabul möglich sein. Daran hängt an Tagen wie dem des Bush-Besuches mehr als nur ein Stück Glaubwürdigkeit des Westens. Bush besucht Afghanistan: Entschuldigt hat er sich – erwartungsgemäß – bei der Bevölkerung nicht. Für die übrigen westlichen Verantwortlichen in Afghanistan gibt es aber so etwas wie eine Pflicht, angesichts der Verfehlungen der US-Regierung nicht weiter zu schweigen. MARTIN GERNER