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Archiv-Artikel

Gesamtkunstwerk Tango

TANZEN Bereits zum dritten Mal fand am Wochenende in der Ufa-Fabrik die Tangonale statt. Das dreitägige Festival der Tangokunst feiert den Tanz aus Argentinien als Kunstform und Lebensgefühl

Tango, Tango

■ Berlin ist nicht nur europäische Tango-Hauptstadt, sondern der Tango-Mutterstadt Buenos Aires auch durch eine Städtepartnerschaft verbunden. Kein Wunder also, dass sich hier Festival an Festival reiht. Das nächste findet vom 25. bis 28. August statt. Beim „QueerTango-Festival Berlin“ zeigen Lehrer und Showtänze, wie man den Macho-Tanz in ein genderoffenes Vergnügen verwandelt: Schwule und lesbische Tanzpaare, die Verbindung mit Jazz und Modern Dance – alles, was zu Gardels Zeiten ein Skandal gewesen wäre, ist möglich. Mehr Information unter www.queertangofestival-berlin.de

VON NINA APIN

Die Haarschmuckkünstlerin Lieselotte Schmidt, die im Foyer Ansteckblumen, flache Hütchen und Kämme verkauft, ist gut beschäftigt. Gerade heften sich zwei junge Frauen gegenseitig Blumen ins Haar – die sommerlich gelbe? Oder doch die ganz große rote? „Bisschen wuchtig – aber vielleicht genau richtig für heute Abend“, sagt die eine. Die Freundinnen, die sonst mit Tango wenig am Hut und Karten für die Tangonale gewonnen haben, erhoffen sich von dem Abend „Männer mit roten Rosen zwischen den Zähnen – mindestens“. Sobald es aber ums Selbertanzen geht, wollen sie sich schnell aus dem Staub machen. „Nicht, dass man uns noch für Tango-Spezialistinnen hält.“

Die Ufa-Fabrik ist am Freitagabend zur Eröffnung der Tangonale voller echter und falscher Profis. Viele der rund 500 Besucher, die sich unter dem gewölbten Dach des Freilufttheaters niederlassen, sind paarweise gekommen und mittleren Alters. Einige tanzen selbst und haben sich dem Anlass entsprechend in Schale geworfen: die Damen feminine Kleider und hohe Hacken, die Herren Hemd ohne Sakko. Wie gemalt steht ein Paar – er in Bolero, sie im schwarzen Rüschenkleid – an einem Tischchen: Die zwei aus Lichterfelde haben die Melancholie des Tango im Vorjahr schätzen gelernt. Eine wesentlich unspektakulärer gestylte Vierergruppe im Publikum tanzt dagegen seit Jahren. Im „Mala Junta“, im „Tango Loft“, im Sommer auch mal unter freiem Himmel. „Tango ist der einzige Tanz ohne Streit“, begründet einer der Männer das gemeinsame Hobby. „Der Mann führt und hat immer Schuld.“

Berlin gilt als Tangohauptstadt Europas, nirgendwo gibt es so viele Milongas genannte Tanzabende und Kurse wie hier – außer natürlich in Buenos Aires, der argentinischen Mutterstadt des Tanzes, den im 19. Jahrhundert aus Europa stammende Einwanderer am Río de la Plata zu einer Kunstform und einem Lebensgefühl entwickelten. Die Tangonale, zum dritten Mal in der Ufa-Fabrik, ist mehr als nur ein Treffpunkt für aficionados – sie hat sich dem Gesamtkunstwerk Tango verschrieben.An drei Tagen will man einen Gegenpunkt setzen zu Hochleistungsshows des Paartanzes, wie sie oft von argentinischen Show-Ensembles dargeboten werden.

„Tango ist auch Tanz – wir wollen ihn als Kunstform in all seinen Facetten zeigen: In Musik, Schauspiel, Malerei“, sagt der Kurator Hans-Henner Becker, der auch das Eröffnungsstück inszeniert hat. Um das deutsche Missverständnis, beim Tango handele es sich nur um Erotik, zu beenden, will er möglichst viele Texte auf der Bühne übersetzen: Die Geschichten von Armut und den Sehnsüchten armer Einwanderer passen auch gut zur Einwandererstadt Berlin, sagt Becker, kurz bevor es auf der Bühne losgeht.

„Tango ist der einzige Tanz ohne Streit. Der Mann führt und hat immer Schuld“

TANGOTÄNZER BEI DER TANGONALE

„Elena“ ist der Versuch, einen Tangofilm theatralisch umzusetzen: Ein Erzähler berichtet von der Liebesgeschichte zwischen der Sängerin Elena und dem Tänzer „El Senorito“, die auf den Straßen von Buenos Aires beginnt und in Herzeleid und sozialem Abstieg endet. Drei Musiker und eine Sängerin interpretieren an Bandoneón, Charango, Gitarre und Klavier klassische Tangos, die auch getanzt werden. Musik und Tanz sind brillant, die volle Stimme der Sängerin Duna Rolando verwandelt das Zelt in einen verrauchten Tanzschuppen. Dazwischen verknotet Tänzerin Kaatie Akstinat sich in einer Performance virtuos in einem Seil über den Köpfen der Zuschauer. Der Regie-Einfall, das Liebespaar mit Puppen zu doppeln und mit überdrehten Kommentaren des „Presenters“ zu versehen, lässt das Stück etwas flach geraten. Der romantisch-melancholischen Stimmung tut das keinen Abbruch. Der argentinische Botschafter und der Direktor des Museums Casa Carlos Gardel aus Buenos Aires, die im Publikum sitzen, wirken gut gelaunt.

Die Casa Carlos Gardel hat dem Festival Plakate und Original-Partituren von Gardel-Filmen geliehen. Der französischstämmige Sänger aus Buenos Aires avancierte in den Dreißigerjahren mit Musikfilmen zum Star. Seine von Paramount produzierten Filme machten den Tango auch in Nordamerika und Europa beliebt. In der Ufa-Fabrik hängen Plakate von Filmen wie „El Día que me Quieras“ oder „Esperáme“. Per Knopfdruck kann man sich die dazugehörigen Titelmelodien abspielen lassen. Ein Highlight ist die Livebegleitung eines Stummfilms von 1928 durch den Pianisten Javier Tucat-Moreno und eine Schauspielerin, die aus dem Off den für heutiges Empfinden abstrusen Plot um die Qualen einer unehelichen Mutter interpretiert. Den vor Tragik triefenden Abschlusstango noch im Ohr, streifen sich die Profis bereits die Tanzschuhe über: Die Milonga beginnt. Für Laien wie die beiden Freundinnen mit den gewonnenen Tickets wird es jetzt Zeit zu fliehen.