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Archiv-Artikel

Ein Wagnis, ganz und gar nicht provinziell

MUSIKTHEATER Neutönendes für die Bürger: Das Theater Lübeck läuft mit Thomas Adès’ Shakespeare-Oper „The Tempest“ zu ganz großer Form auf. Und läuft der Hamburger Oper fast ein bisschen den Rang ab

Von ALDI

Von einem „Wunder“ schreibt nachher die örtliche Monopolzeitung, aber das funktioniert wohl so ähnlich wie der lang anhaltende Applaus des Publikums. Selbstverständlich war man froh, dabei gewesen zu sein am vergangenen Freitag im Großen Haus des Lübecker Theaters, und vielleicht war ja auch Erleichterung im Spiel: darüber, es durchgestanden zu haben?

Sie sei sich nicht sicher, ob ihr das Stück insgesamt gefalle, hatte die unbekannte Sitznachbarin in der Pause gesagt. Aber, ganz distinguierte Abonnementsinhaberin mit fachkundigem Hintergrund („Ich habe selbst lange Gesangsunterricht gegeben“), erkannte sie doch an: So einiges, das da gesungen wurde auf der Bühne des pittoresken Jugendstilhauses, das sei „säuisch schwer“.

Wenn sich in Lübeck etwas gehalten hat, dann ein kunstsinniges Bürgertum. Sollen andere doch den größeren Hafen haben oder Landeshauptstadt sein: Hier, wo ein vorm Theater ausgespuckter Kirschkern im Nu durch UNSESCO-geadelte mittelalterliche Gassen bis zum Buddenbrookhaus schallt, weiß man noch, was sich schickt.

Die Lübschen Kirchturmdenkens kaum verdächtige Welt hatte im Vorfeld berichtet von Musikfreunden an der Elbe, die seit einiger Zeit jede in Lübeck avisierte Premiere reiselustig mache. Wo doch mit dem Weggang von Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher der Hamburger Oper der Draht zum Zeitgenössischen abhanden gekommen sei.

In der Tat: Die Lübecker bringen nun als erste im Norden dieses vorläufige Hauptwerk des britischen Komponisten Thomas Adès, Jahrgang 1971, zur Aufführung – und eben nicht die Hamburger. Und hatten diese Lübecker – Theaterdirektor Christian Schwandt, Schauspieldirektor Pit Holzwarth sowie Opernchef und GMD Roman Brogli-Sacher – nicht eben erst einen Wagner’schen Ring vorgelegt, der vielerorts besser ankam als jener in Hamburg?

Auch in Adès’ 2004 in London uraufgeführter Shakespeare-Oper geht es um Rivalitäten und vergangene Größe. Ebenso wie um Liebe und Verrat, Rache und Versöhnung, um Totgeglaubtes und Überirdisches – und um einzuhaltende Verträge. Kompositorisch verbeugt sich Shooting-Star Adès nicht direkt vor den Konventionen, aber er erkennt ihre Bedeutung an; man muss aus seinem „Tempest“ nicht Puccini und Strauß heraushören, wie es andere getan haben.

Oft schon ist „Der Sturm“ vertont worden. Für Adès übertrug die australische Librettistin Meredith Oakes das elisabethanische Original in ein teils schlicht begradigtes, teils famos verdichtetes Englisch. Regisseur Reto Nickler lässt das am Ende doch irgendwie als Komödie angelegte Drama in einem heruntergekommenen Badeort spielen. Ja, die Lübecker wagen hier einiges – und es gelingt. Das böse Wort vom „Stadttheater“ schlich sich allenfalls vereinzelt in den Kopf: Wenn sich zeigte, dass Chorsänger nicht immer schauspielern können. Das gelingt dafür jenen, bei denen es drauf ankommt, umso besser: Die Hauptrollen sind alle sehr gut besetzt. Und Louise Fribo, deren Rolle – der Luftgeist Ariel – bereits zur atemberaubendsten im derzeitigen Opernrepertoire geadelt wurde, gehört auf der Stelle entdeckt für ganz andere Bühnen. ALDI

Weitere Vorstellungen: 21. 3., 18 Uhr; 26. 3., 19.30 Uhr; 11. 4., 16 Uhr, Theater Lübeck