„Geflügel möglichst bald impfen“

Der Entdecker des H5N1-Virus warnt vor Vogelgrippe-Panik. Professor Albert Osterhaus rät, den Ausbruch beim Geflügel durch Impfungen zu verhindern. Neueste Marker-Impfstoffe seien einsatzbereit. In Europa bestehe für Menschen keine Gefahr

INTERVIEW TARIK AHMIA

taz: Herr Professor Osterhaus, Sie haben als Erster das H5N1-Virus als Ursache der Vogelgrippe identifiziert. Jetzt verbreitet sich das Virus rasant in Deutschland und hat eine Katze infiziert. Ist das Virus dabei, gefährlich zu mutieren?

Albert Osterhaus: Das Virus hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Die H5N1-Variante, die wir jetzt in Europa haben, ist dem chinesischen Virus vom Qinghai-See sehr ähnlich, wenn nicht sogar identisch. Die tote Katze auf Rügen überrascht uns auch nicht. Denn wir haben schon vor zwei Jahren anhand des H5N1-Virus aus Vietnam im Labor nachgewiesen, dass sich Katzen daran anstecken können.

Wie hoch schätzen Sie die aktuelle Bedrohung ein?

Die Entwicklung in Europa ist nur eine weitere Episode in der Geschichte von H5N1. Es passiert hier gerade das, was in anderen Teilen der Welt schon seit vielen Jahren Alltag ist. Insofern hat sich an der Gesamtlage nichts grundlegend geändert. In Europa ist die Bedrohung für Menschen nach wie vor sehr gering. Bedroht sind vor allem Wildvögel und Geflügel. Hier sind die Vorkehrungen allerdings so gut, dass ein Ausbruch der Krankheit beim Geflügel sofort erkannt und bekämpft wird.

Gilt das auch für die Gefahr einer Pandemie?

Das Risiko einer menschlichen Pandemie hat sich nicht vergrößert. Viele Menschen fürchten, die Gefahr einer Pandemie sei jetzt näher gerückt. Doch wir müssen grundsätzlich zwischen der Tierseuche und einer menschlichen Vogelgrippe-Pandemie unterscheiden. Von der Tierseuche sind nur Menschen gefährdet, die in den Ställen arbeiten oder an der Keulung von Geflügel beteiligt sind. Für diese Leute sollten wir im Fall einer Infektion Medikamente bereithalten. Das sind aber höchstens einige tausend Menschen – nicht Millionen.

Was uns mehr sorgen sollte, ist die Entwicklung in Asien, Indien und Afrika. Von dort stammen die meisten menschlichen Infektionen. In diesen Regionen ist die Verbreitung der Vogelgrippe nicht unter Kontrolle. Wenn es jemals zu einer Pandemie kommt, dann wird sie wahrscheinlich von dort stammen.

Wird H5N1 von nun an immer bei uns bleiben?

Das Virus könnte genauso schnell wieder verschwinden, wie es gekommen ist. Um das aber seriös zu beurteilen, fehlen uns noch wichtige Daten. Noch ist das Virus nicht sehr verbreitet. Wir haben in letzter Zeit tausende Wildvögel auf H5N1 getestet – kein einziges Mal positiv. Entscheidend wird aber sein, einen Ausbruch beim Geflügel zu verhindern. Sonst entsteht ein Teufelskreis, in dem sich Geflügel und Wildtiere permanent gegenseitig anstecken.

Wie lässt sich das Geflügel wirksam schützen?

Die Stallpflicht ist zwar eine wichtige Schutzmaßnahme, das Verbreitungsrisiko einer Infektion ist in Ställen mit tausenden Hühnern aber sehr groß.

Wir sollten zusätzlich ernsthaft prüfen, das gesamte Geflügel zu impfen. Zumindest das Freilandgeflügel sollte möglichst bald geimpft werden. Es ist ja bereits heute so, dass Nutzgeflügel gegen andere Krankheiten geimpft wird.

Daraus ergibt sich ein ökonomisches Problem, denn es dürfte kaum möglich sein, geimpftes Geflügel zu exportieren. Innerhalb der EU könnte man sich vielleicht auf Exportgenehmigungen verständigen, aber Geflügel außerhalb der EU zu exportieren dürfte schwierig werden.

Hühner leben oft nur einen Monat. Macht Impfen da noch Sinn?

Das muss man abwägen. Denn für einen wirksamen Impfschutz muss jedes Huhn zweimal geimpft werden. Zwischen den Impfungen müssen zwei Wochen vergehen. Für ein Tier, das nur einen Monat lang lebt, ist so ein Vorgehen sehr aufwändig. Für Hühner, die Eier aus Freilandhaltung legen, würde sich das wohl lohnen.

Die Geflügelindustrie lehnt Impfungen aus dem Grund ab, weil man zwischen geimpften und infizierten Hühnern nicht unterscheiden könne. Ein so genannter Marker-Impfstoff, der die Unterscheidung erlaubt, sei erst in ein paar Jahren verfügbar.

Im Prinzip könnten Marker-Impfstoffe sofort eingesetzt werden. Die Forschung dafür ist abgeschlossen. Es liegt nun in den Händen der Impfstoffhersteller, die Marker-Impfstoffe auch tatsächlich auf den Markt zu bringen.

Sollte H5N1 so mutieren, dass es sich von Mensch zu Mensch verbreitet: Wie lange würde es dauern, bis ein wirksamer Impfstoff für Menschen zur Verfügung steht?

Im Prinzip könnte ein Impfstoff in vier bis sechs Monaten verfügbar sein.

Die große Hürde sind die fehlenden klinischen Studien, die man schon jetzt vorbereitend durchführen könnte. Im Moment halten sich die Impfstofffirmen zurück, weil diese Studien mit Impfstoffprototypen Dutzende Millionen Euros kosten, ohne dass die Firmen wissen, ob sie damit jemals Geld verdienen. Ich halte es deshalb für sinnvoll, in einer „Public-Private-Partnership“ die Kosten für solche Forschungen zwischen der Industrie und den Länder aufzuteilen.

Sind Sie persönlich über die Verbreitung der Vogelgrippe besorgt?

Ich bin heute nicht besorgter, als ich es schon die letzten zehn Jahre war.