zwischen den rillen
: Hinweg mit der Langeweile

Zurück zur alten Form: Mit ihrem neuen Album „Fab Four Suture“ haben Stereolab ihre lange Lähmung überwunden

Eine Kamera fährt im Zeitraffer scheinbar planlos durch die Straßen Londons. Es dämmert. Die Lichter der Straßenlampen bilden Punkte, Schlieren, Punkte auf der Mattscheibe. Langsam beginnt alles zu kreisen, die Punkte werden größer und farbiger, während der Moog blubbert und sprudelt, die Gitarre sich einen Wolf schrammelt und wie von einem anderen Stern kommender Frauengesang anhebt. Ein ekstatischer Singsang schöner Nonnen aus Frankreich, schien es.

Die Sache war klar: Was wir hier sahen, das erste Video von Stereolab, „Super-Electric“, veränderte unsere Wahrnehmung. In der Folge mussten weiche Drogen genommen, Roy-Lichtenstein-Bilder aufgehängt, das Gesamtoutput des kleinen Londoner Labels Too Pure gekauft werden. Man schrieb das Jahr 1991.

Auf ihren ersten Singles sang noch eine Gina Morris mit, von der wir gerne wüssten, was aus ihr geworden ist. Joe Dilworth spielte Drums, heute kann man ihn manchmal auflegen hören, in der 8mm-Bar zum Beispiel, Dilworth lebt mittlerweile in Berlin. Mary Hansen, zu „Space Age Bachelor Pad Music“ eingestiegen, starb vor drei Jahren bei einem Verkehrsunfall. Das Kontinuum im Stereolabor bildet das Ehepaar Tim Gane und Laetitia Sadier. Die Lennon/McCartney des Dronepops, sozusagen.

Mit „Fab Four Suture“ erscheint jetzt ihre gefühlte sechzehnte Schallplatte: Es ist ihre beste seit „Emperor Tomato Ketchup“. Eine Rückkehr zu Too Pure, zu Griff, Ekstase und knackiger Hookline. Schneidige Rhythmen, gute Breaks, Anleihen aus fünfzig Jahren Popmusik, ohne mit Fachwissen anzugeben. Besonders der von Gane und Simon Johns gespielte Bass bringt die nötige Kantigkeit. Dazu alpine Bläsersätze. Und fiepende Orgeln.

Die Klammer des Albums bildet das an den russischen Futurismus gemahnende, zweiteilige „Kyberneticka Babicka“, eine zu Musik gewordene Penetration der Schwerelosigkeit. Autistisch, zappelnd und sich scheinbar endlos wiederholend. Ein typisches Stereolab-Stück eben. Mit „Visionary Road Maps“, das an The Cures „Let’s Go To Bed“ erinnert, mit „Interlock“, „Vodiak“ und dem schmeichelnd elegischen „Whisper Pitch“ sind diesmal potenzielle Hits dabei. Keine Paralyse mehr. Stereolab machen wieder Stücke mit Griff.

Und sie sind einen langen Weg gekommen. Die visionären Straßenkarten schienen sie lange in den Händen zu halten. Ihre ersten, immer leicht verschrobenen Platten wie „Peng!“ oder „Mars Audiac Quintet“ zirpten, dröhnten, rockten, hatten Schwung. Erst mit „Dots & Loops“, ihrem Versuch, Krautrock und Ambient zusammenzustricken, schienen sie dem Ennui, der großen Langeweile, zu verfallen. Fortan reihten sich unbezahlbare Alben in schicken Covern mit unglaublich belangloser Musik aneinander. Stereolab schienen in dieselbe Falle getappt zu sein, in der Sonic Youth und The Fall schon länger schlummerten. Vielleicht war es an der Zeit, aufzuhören. 2004 erschien dann die Vorgängerplatte „Margerine Eclipse“, und mit ihr keimte die Hoffnung auf, eine im Easy-Peasy-Listening verloren geglaubte Ex-Lieblingsband wieder hören und in die Arme schließen zu können. In Dual-Stereo aufgenommen, knüpfte die Platte an alte Glanzlichter an.

Natürlich geht auch auf „Fab Four Suture“ („Suture“ heißt „Naht“) noch einiges in Richtung Retrosoundtapete, aber es gibt ja Leute, die das mögen. Dafür gibt es weniger Geplätscher, weniger Lalalas, leider auch weniger Französisch. Und weniger aufgeklärte existenzialistisch-kommunistische Texte. Aber es kann ja nicht alles so sein wie zu Anfang der 90er. Weniger hypnotisch sind wir deswegen noch lange nicht.

RENÉ HAMANN

Stereolab: „Fab Four Suture“ (Too Pure/Beggars Group)