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Archiv-Artikel

1 Grippe, 16 Pläne

„Wir können nicht auf jede Straße, die nach Hamburg führt, eine Seuchenmatte legen“

VON UNSEREN KORRESPONDENTEN

Jetzt sind sie weg, die Matten. Auf Rügen, wo die Vogelgrippe erstmals in Deutschland auftrat, wurden die Desinfektionsmatten auf der Verbindungsbrücke zwischen Insel und Festland komplett abgebaut. Sie sollten eine Ausbreitung der Seuche eindämmen.

Auch in der Uckermark wurde die Grippe nachgewiesen. Dort aber gibt es in den Sperrgebieten keine Seuchenmatten. „Wir sperren die Fundorte ab“, sagt Jens-Uwe Schade, Sprecher des Agrarministeriums. Schade gibt zu, dass das ein Brandenburger Spezifikum ist: „Würde auf der Berliner Museumsinsel ein toter Vogel gefunden, kann man die ja schlecht absperren.“ In Hamburg werden in einem solchen Fall nur Warnschilder aufgestellt, die auf besondere Vorschriften hinweisen sollen.

In Berlin forderte Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU) gestern eine strikte Einhaltung der Maßnahmen gegen die Vogelgrippe. „Es darf keinen Kompromiss zulasten der Sicherheit geben“, sagte der Minister, die Regeln der Seuchenbekämpfung müssten „sehr konsequent eingehalten werden“. Welche Regeln denn? Die aus Hamburg? Die aus Rügen? Die Brandenburgs?

Seuchenbekämpfung ist Ländersache. Die Bundesregierung hat zwar am 20. Dezember eine Neuordnung der „Geflügelpestverordnung“ erlassen. Auch eine neue „Wildvogel-Geflügelpest-Verordnung“ trat im Februar in Kraft. Diese Verordnungen geben allerdings nur Rahmen und Standards vor. Wie sie umgesetzt werden können, entscheidet jedes Bundesland selbst.

Zum Beispiel Nordrhein-Westfalen: Wenn dort demnächst Vogelgrippe nachgewiesen wird, tritt umgehend das „Tierseuchenkrisenmanagement“ in Kraft. Bereits im Oktober hatte die schwarz-gelbe Landesregierung den Notfallplan mit sperrigem Namen verabschiedet. Der Erlass basiert auf den Erfahrungen der Geflügelpest, die vor drei Jahren von Holland auf Nordrhein-Westfalen übergesprungen war.

Der Plan sieht unter anderem die Einrichtung von drei Sicherheitszonen vor: Im Umkreis von 3 Kilometern um den Seuchenherd herum wird zunächst eine Schutzzone gezogen. Wer in dem Gebiet wohnt und das Gebiet verlassen will, muss umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen über sich ergehen lassen. Der nächste Umkreis misst 10 Kilometer – die „Überwachungszone“, in der die Lage „scharf beobachtet“ wird. Zudem gelten weitreichende Handelsbeschränkungen für Geflügel. Und dann ist da noch der „Nahkampfbereich“: In einem Radius von 1 Kilometer um eine nachgewiesene H5N1-Fundstelle wird alles Hausgeflügel getötet – „vorsorglich“, wie Markus Fliege, Sprecher des NRW-Landwirtschaftsministeriums, erläutert. Die Schutzmaßnahmen gelten mindestens 30 Tage. Was aber passiert, wenn ein H5N1-Vogel auf der Autobahn oder am Rhein gefunden wird? Fliege: Da Autobahnen oder Flüsse wie der Rhein als „natürliche Seuchenbarrieren“ gelten, würden diese „in der Regel“ nicht gesperrt.

„Der Freistaat war vorbereitet, denn es war nur eine Frage der Zeit“, beurteilt Bayerns Umweltminister, Werner Schnappauf (CSU), die Lage. „Das Wichtigste ist jetzt, kühlen Kopf zu bewahren.“ Schließlich sei die Vogelgrippe derzeit noch eine reine Tierseuche.

Generell wird das Prinzip der Schutzzonen überall eingesetzt: In Bayern aber dürfen bereits nach 21 Tagen ohne Auffälligkeiten Ei, Küken oder Geflügelfleisch wieder aus dem 3-Kilometer-Sperrbezirk heraustransportiert werden. Aus der 10-Kilometer-Zone darf schon nach 15 Tagen Federvieh wieder ausgeführt werden.

Um den Informationsfluss zu gewährleisten, mussten sich bereits im vergangenen Jahr alle bayerischen Geflügelhalter in eine Meldeliste eintragen – egal ob mit einer einzigen Haus-und-Hof-Henne ausgestattet oder einem Gewerbebetrieb. Zugleich patrouillieren Jäger, Behördenmitarbeiter und bayernweit 300 Freiwillige des Landesbundes für Vogelschutz an den bekannten Rastgebieten. Und damit auch Autofahrer wissen, was Sache ist, markieren Geflügelpest-Schilder die entsprechenden Gebiete. „Desinfektionswannen stellen wir aber nicht auf, und auch das normale Leben regeln wir nicht“, sagt Ministeriumssprecherin Andrea Kinateber mit Blick nach Rügen. „Egal ob Hochwasser oder Schneechaos, die Landräte sind in Bayern erfahren im Umgang mit Katastrophen.“

Das immerhin ist auch die Freie und Hansestadt Hamburg. In der Gesundheitsbehörde weiß man, dass man es in vielerlei Hinsicht leichter hat. Weil beispielsweise überall Menschen unterwegs sind, werde ein toter Vogel schneller gefunden als auf dem Land. „Die Wege sind kürzer“, so Sabine Neumann, die Sprecherin der Behörde: der zur Untersuchung im Hygiene-Institut genauso wie – im Falle eines Infekts – der für die Bezirksveterinäre zurück zum Fundort. Sie desinfizieren diesen mit Ameisensäure und Peressigsäure.

Auch in Hamburg gelten ein Sperrbezirk von 3 Kilometern und ein Beobachtungsbezirk im Radius von 10 Kilometern. Innerhalb dieser Grenzen dürfen Geflügel und Geflügelprodukte entweder gar nicht oder nur mit Genehmigung transportiert werden. Durchgangstransporte aber, etwa auf Eisen- oder Autobahnen, sind erlaubt. „Von Vorteil ist auch, dass wir jeden Hühnerhalter mit Namen kennen“, sagt Neumann. Knapp 300 Geflügelhalter mit rund 8.000 Tieren gibt es in Hamburg.

In Niedersachsen sind es ein paar mehr: Zwischen Ems und Elbe sind mit 72 Millionen Federviechern mehr als die Hälfte des bundesdeutschen Wirtschaftsgeflügels zu Hause. Entsprechend groß ist hier die Angst vor einem Übergreifen von H5N1. Allein der Alarmplan für die Vogelgrippe ist nach Angaben von Ministeriumssprecher Gert Hahne mehrere hundert Seiten stark und enthält für jeden niedersächsischen Landkreis individuelle Anweisungen.

Für jeden Kreis findet sich ein Ablaufplan mit detaillierten Benachrichtigungslisten, wer wen wie zu benachrichtigen habe. Springt das Virus auf Wirtschaftsgeflügel über, wird innerhalb der 3-Kilometer-Zone von außen nach innen alles Geflügel getötet. Niedersachsen hat technische Einrichtungen, um täglich 500.000 Tiere umzubringen. Moderne große Ställe seien ohnehin so gebaut, dass man sie komplett mit CO2 begasen und so den gesamten Bestand in kürzester Zeit tierschutzgerecht töten könne, meint Ministeriumssprecher Hahne.

Sperrzonen gibt es auch um den Fundort infizierter Wildvögel. Dann ist es zwar nicht vorgeschrieben, alles Wirtschaftsgeflügel in der Umgebung zu töten. Wenn es aber in der Nachbarschaft Hühnerställe gibt, ist es um deren Insassen gleichwohl geschehen. Eine Ausnahme machen Niedersachsens Veterinäre nur an den Autobahnen. Hahne: „Da wird die Sperrzone beiderseits der Autobahn eingerichtet.“ Die Fahrbahnen selbst würden ja bereits durch die Autos vogelfrei gehalten.

Im Nachbarland Sachsen-Anhalt, wo in 23 Tagen ein neuer Landtag gewählt wird, ist gerade die heiße Phase des Wahlkampfs angebrochen. Die Kandidaten lassen kaum ein gutes Haar am Konkurrenten. Und obwohl die Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostizieren – beim Thema Vogelgrippe lobt die Opposition die Regierung. Sogar PDS-Sprecher Thomas Drzisga sagt: „Da ist ganz schön was getan worden.“

Unter „ganz schön was“ fällt etwa ein Treffen von Landwirtschaftsministerin Petra Wernicke (CDU) mit Amtstierärzten, Bürgermeistern und Landräten in der Vorwoche. Ebenfalls darunter fallen die Informationen auf der Homepage des Ministeriums. Knapp 600 tote Wildvögel sind in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Wochen beim Landesamt für Verbraucherschutz in Stendal pathologisch untersucht worden. Bislang allerdings gab es noch keinen Verdacht auf H5N1.

Ein Prinzip, fünf Länder, fünf Sitten. Bundesverbraucherminister Seehofer hat mehr Kompetenzen für sein Haus gefordert. „Vogelgrippe muss man global bekämpfen. In den Leitentscheidungen brauchen wir deshalb unbedingt eine stärkere zentrale Kompetenz.“

„Will Seehofer die Freiwillige Feuerwehr von Criewen leiten?“, fragt Jens-Uwe Schade, Sprecher des Brandenburger Agrarministeriums. Seehofer wolle von eigenem Versagen ablenken: „Beispielsweise wusste man längst, wie und wann Vogelgrippe auf Katzen und Hunde überspringt. Unterrichtet hat uns aber niemand.“ Schade sagt, es sei doch klar, dass man mit jedem neuen Grippetag und Seuchenfall dazulerne. „Hinterher so zu tun, als sei man vorher schlauer gewesen, ist einfach unseriös.“

PASCAL BEUCKER, MAX HÄGLER, GERNOT KNÖDLER, JÜRGEN VOGES, MICHAEL BARTSCH, NICK REIMER