: Direkter Draht zur Pleite
Jeder zehnte junge Berliner kann seine Telefonrechnung nicht zahlen. Die Ursachen für Verschuldung sind vielfältig. Ein Schuldnerberater berichtet
VON MARIA DALDRUP
Kerstin ist 21 Jahre alt. Sie hat einen Hauptschulabschluss, keine Ausbildung, lebt vom Arbeitslosengeld II und schuldet acht verschiedenen Gläubigern rund 6.000 Euro – unter anderem einem Mobilfunkunternehmen, einem Internetversand und den Stadtwerken. Kerstin ist kein Einzelfall, sondern eine typische Schuldnerin, wie Ralf Rosenberg sie in der Jugendschuldnerberatung Neukölln jede Woche trifft.
Aber nicht nur in Neukölln stecken viele Jugendliche in den roten Zahlen. Dass sich junge Berliner zwischen 18 und 24 Jahren verschulden, ist gar nicht so selten. Dies verdeutlicht der Schuldenkompass 2005 der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (Schufa): Über 6,5 Prozent waren 2004 im Minus bei ihrer Bank, knapp 4 Prozent konnten Waren aus dem Versand- oder Internethandel nicht zahlen und jeder Zehnte stand bei Telefonanbietern in der Kreide, vor allem mit unbezahlten Handyrechnungen. Bundesweit liegen die jungen BerlinerInnen damit an der Spitze.
Dass gerade junge Menschen immer häufiger in die Schuldenfalle tappen, habe vor allem mit veränderten Rahmenbedingungen zu tun, heißt es im Schuldenreport 2006. Der Bericht von Verbraucherschutz- und Wohlfahrtsverbänden zählt vor allem die schwierige Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage sowie den Investitionsbedarf in die Alters- und Gesundheitsvorsorge dazu. Zugleich seien die 18- bis 24-Jährigen auch eine der am stärksten umworbenen Zielgruppen auf dem Markt.
„Daran liegt es aber nicht allein“, weiß Schuldnerberater Rosenberg aus Erfahrung. Die jungen Leute seien vielfach schlicht unerfahren, wenn es um finanzielle Angelegenheiten gehe. Häufiger Grund für eine Verschuldung ist die erste eigene Wohnung: „Stromkosten, dachte ich, wären in der Miete enthalten“, das hörte Rosenberg schon oft.
Hilfe bekommen junge Ver- und Überschuldete bei der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung. Das ist ein Zusammenschluss gemeinnütziger Beratungsstellen mit 19 Mitgliedsorganisationen, zum Beispiel dem Arbeitskreis Neue Armut, der Arbeiterwohlfahrt oder dem Deutsche Familienverband. Zwar hat jeder das Recht auf eine kostenlose Beratung. Aber die Wartelisten sind mitunter so überfüllt, dass sie – wie im vergangenen Jahr in Neukölln – für einige Monate geschlossen werden müssen, sagt Rosenberg. „Dies hat gerade junge Menschen abgeschreckt.“ Deshalb gebe es in Neukölln seit Ende 2004 eine wöchentliche Jugendschuldnerberatung.
Unmittelbares Ziel der Beratung ist es, keine weiteren Schulden entstehen zu lassen. Deshalb wird zunächst die Verschuldungssituation geordnet, dann die rechtlichen Zusammenhänge geklärt und im Anschluss ein Haushaltsplan erstellt. Für besonders hoch Verschuldete ist auch das Verbraucherinsolvenzverfahren eine Lösung. Zudem will man den Jugendlichen zu einer Berufsausbildung verhelfen, damit sie ihre Einkommenssituation langfristig verbessern können. Neben den Sprechstunden besteht auch die Möglichkeit zur Online-Beratung. Der Erfolg ist von Bezirk zu Bezirk verschieden. So hätten in Neukölln viele der Betroffenen gar keinen Computer, sagt Rosenberg. In Pankow sehe dies wiederum anders aus.
Damit es aber gar nicht erst zu Schulden komme, müsse man präventiv an Schulen tätig werden, fordert der Schuldnerberater. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen zwar noch keine Verträge abschließen, sondern nur bei Freunden und Verwandten Geld leihen. „Aber die Voraussetzungen für eine Verschuldung werden hier geschaffen“, sagt auch Marius Stark, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände. Geld müsse nicht nur in Schulen thematisiert werden, sondern vor allem in den Familienalltag integriert werden, so Stark: „Welcher achtjährige Junge weiß denn heute, wie viel sein Vater verdient?“
Für den Ausbau von Beratungsstellen spricht ein finanzieller Grund. Schließlich heißt es im Schuldenreport: Jeder Euro für die Schuldnerberatung spare zwei Euro Sozialausgaben.