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Archiv-Artikel

Diese Silhouetten! Dieses Volumen!

Am Wochenende endeten die Pariser Prêt-à-porter-Schauen: John Galliano entdeckt für Dior den „Gothic Chic“, Jean-Paul Gaultier die Romantik. Die Wichtigkeit der Accessoires zwingt die Modehäuser zurück zur Form

Wo Schwarz die wichtigste Farbe ist, so das Gesetz, wird die Silhouette zentralGold ist, mit Schwarz verbunden, das einzig erlaubte Dekorativ des nächsten Winters

VON KATRIN KRUSE

Es kommen in die Mode: Zurückhaltung und Nüchternheit. Gestern gingen die Pariser Prêt-à-porter-Schauen zu Ende, heute muss man sagen: Paris bringt die Rückkehr zur Form. „Paris bringt“ ist eine sonderliche Formel, klingt sie doch nach Modediktat, den Zeiten der französischen Couturiers und dem „Capter l’air du temps“ Coco Chanels – der Vorstellung eben, Mode sei Form gewordener Geist der Zeit und damit essentiell modern. Es ist die Formel einer Zeit, deren neue Mode jede vergangene Mode sehr lächerlich hat aussehen lassen, weil man derart schnell voranschritt, dass die Haltung, aus der sie entstanden war, schon bald nicht mehr verstanden wurde. Genau darum muss „Paris bringt“ die Formel für die Schauen zum nächsten Winter sein. Nicht dass es die eine Form gäbe – aber es gibt die Form. Und neben der klar gezeichneten Silhouette, gedeckten Farben und dem neuen Volumen sieht das, was war, bisweilen sehr, sehr vergangen aus.

So beim Dior-Defilee im Grand Palais. „We are going to see sophisticated, understated clothing“, hatte der New Yorker Berater Robert Burke seine Erwartungen an die Pariser Schauen gerade zusammengefasst, da ging auch schon das Licht aus, die Schau begann – und hinein marschierten die, so ist es gewesen, Nutten der Finsternis. „Gothic Chic“, ein aufregendes Defilee: Würde es den Models gelingen, trotz Nschotschi-Perücke, breitem Haarband und gigantischer schwarzer Sonnenbrille die transparenten, versetzt stehenden Plastikwände, die den Laufstegbeginn markierten, sicher zu umgehen? Nein. Es gelang auch dem Dior-Designer John Galliano nicht, als er – ohne Sonnenbrille – aus den Tiefen des Grand Palais seinen Weg auf den Laufsteg nahm. Die letzte Wand traf er frontal, ein verächtliches Lächeln spielte in die Glamourpose hinein und ließ sie gleichsam von innen verwelken. Die Kleider? Es begann schwarz, recht kurz und sehr eng, Röcke mit knappen Jacketts, ging über Offwhite zu Rot und lang und kam als Materialmelange: latexisiertes Leinen, lurexisierte Organza, Schlangenleder und in Streifen gearbeitetes Fell. „Hässliche Kleider für reiche dumme Frauen“, sagt ein Kollege. Modische Oberfläche, démodé. Und die forcierte Attitüde ist vor die Wand gelaufen.

Möglich, dass sich die Rückkehr zur Form der Übermacht von Schwarz und dunklen Farben verdankt, die den nächsten Winter dominieren – wo Schwarz ist, so das Gesetz, wird die Silhouette zentral. Vielleicht war man der kompilierten Outfits ebenso wie des Übersexuellen müde. Und schließlich steht Paris mit gleich zwei Balenciaga-Ausstellungen – eine davon eröffnet erst im Juli im Musée de la Mode, mitkuratiert vom Balenciaga-Designer Nicolas Ghesquière – im Zeichen des großen spanischen Couturiers der Sechzigerjahre, der als „Architekt in der Mode“ gilt.

Ghesquière hat seine Winterkollektion Balenciaga gewidmet, vom Körper entfernte Kurzmäntel mit leichtem U-Boot-Ausschnitt und 3/4-Arm; doppelreihig geknöpfte, kastige Jacken mit Raglanärmeln und einem Minirock, der in breiten Kellerfalten vom Körper absteht. Die Kollektion fällt farbenfroher aus als die meisten dieser Saison, auch vermitteln Ghesquières Entwürfe am besten, was geschieht, wenn in der Mode architektonisch gearbeitet wird: Der Mantel wird zur Hülle, das Kleid zum Kokon, der Körper eine Spur, der man folgen kann – und doch meist entgegengeht. Weicher, dennoch im Spiel mit Volumen – kastige Jacken fallen hinten weit wie ein Bolero, Kleider runden sich im unteren Rücken – fällt Albert Kriemlers Kollektion für das Schweizer Label Akris aus.

Dennoch, auch hier: „Ich habe diesen alten Balenciaga-Mantel“, sagt Kriemler. Jetzt sei Zeit gewesen für ein neues Volumen. Offensichtlich. Volumen mit A-Linie bei Chloé, skulpturale Körperferne mit Taillenbetonung bei Yves Saint Laurent, Salz-und-Pfeffer-Tweed bei beiden. Nur Chanel – neben Dior eines der Häuser, für die die Suche nach der neuen Silhouette eine Art Ursprungsgeschichte darstellt – verzichtet auf Formexperimente. Da ist zwar das klassische Chanel-Kostüm mit Minirock – doch dann umschwingen schwarze Tüllhosen weit das Bein, und weit fällt ein Chiffonumhang darüber, rüschengesäumt.

Gothic ist die eine, Romantik die andere Variante des Morbiden. Bei Jean-Paul Gaultier waren neben Kleidvariationen auf den Trenchcoat und einem ins Düstere spielenden romantischen Moment erstaunlich viele Tiere zu sehen. Man kennt den Chinchilla als Accessoire der Mode, hier kamen Katzen (auf dem Arm), Windhunde, Pudel und ein Hirtenhund (an der Leine) sowie (auf dem Falknerarm) eine Eule hinzu. Die Farben? Puderbleu hat es begonnen. Und dann ging es immer den Tieren nach.

Anderes geht den gewohnten Lauf. Anna Piaggi von der italienischen Vogue trägt kleine, lustig-bunte Hüte schräg aufgebunden. Nur Suzy Menkes, die Modekritikerin der International Herald Tribune, die permanent schreiben muss, damit die anderen Moderedakteurinnen lesen können, was von der Mode zu halten ist, hat ihr sichtbares Repertoire erweitert. Sie steht am Laufstegrand und hält ihr Laptop pendelnd in die Höhe, sorgenvolle Falten auf der Stirn. „Suzy is praying for the right words“, sagt eine zur anderen. Doch nein. Es war nur die schlechte Wireless-Verbindung.

Weiter vorn ist, wer schon jetzt die neuesten Tendenzen in die Garderobe inkorporiert: Grobstickjacken, gern voluminöse, Goldschuhe, Leggings. Mode heißt noch immer, den kleinen Vorsprung haben, der die Distinktion ausmacht: Heute das Haarband tragen – wie eine kleine schwarze Leiter um den Kopf gewickelt – das gestern erst auf dem Rochas-Laufsteg zu sehen war etwa. Westwood-Adepten erkennt man an ambitiös geschlungenen, schlammfarbenen Cardigans und die Westwood-Kollektion daran, dass sie gegen das geht, was alle anderen machen. Hier hat die Unschuld blaue Flügel und Phallusform, zumindest auf der Einladung zur „Innocence“-Schau. Als kürzlich im Düsseldorfer NRW-Forum die Westwood-Retrospektive eröffnete – zuvor war sie im Victoria & Albert Museum in London zu sehen –, war viel die Rede vom subversiven Punk, der einmal war, und der „Honour of the British Empire“-Lady, die heute ist.

Die zarte Empfindung allerdings bringt sie noch immer in Bedrängnis. Es liegt ein veritables DIY-Moment in der Kollektion: Der beigefarbene Stoff mit dem großen Karo gefällt? Bitte nehmen, togaesk umschlingen, voilà! Später wird der gleiche Stoff zum Mantel mit tütig-spitz herausstehenden Schultern, auch das eine Verfeinerungsverweigerung. Meist lassen einen die gerafften, gewickelten, gezupften Entwürfe mit Fragen zurück: Ist so etwas duplizierbar? Gar: konfektionierbar? Und: Wie sieht das Schnittmuster aus? Hübsch der leichte Leinenrock mit Silberfäden, von einer Krinoline gehalten. Gold ist, mit Schwarz verbunden, das einzig erlaubte reine Dekorativ des nächsten Winters. Wie es am schönsten zu kombinieren ist, wie man Arbeitskostüme schneidert, die für eine kleine Ewigkeit sind und wie man das Publikum in eine Vergangenheit führt, die als nahe Gegenwart erscheint und Ergriffenheit hinterlässt, zeigt Dries van Noten.

Japanische Trendmagazine adeln ins Schauenzelt eilende Besucherinnen mit dem Fotowunsch. Who are you? Dann die Labelfrage. Tasche, Schuhe, Mantel, Hose, Tuch und Cardigan: What are you wearing? Channel 4 fragt nach dem „Must-have-Accessoire“ der nächsten Saison. Es wird sicher ein Gürtel sein, der im nächsten Winter zum Funktionsutensil geworden ist: Breit rafft er festen Stoff in der Taille zusammen. Schmal wird er über Cardigans getragen. Und natürlich die Tasche, wenngleich möglicherweise nicht im Sinne von Channel 4.

Ein Must-have ist definitionsgemäß an ein Label gebunden – doch auch die Tasche scheint in Paris den nüchternen, das ist: undekorierten Weg zu nehmen. Bei Givenchy waren sie schwarz wie die Outfits, zu denen sie gezeigt wurden, dafür aber umso größer – manch ein Model trug gleich zwei. Ein überdeutlicher Hinweis darauf, dass die Taschen das Hauptgeschäft vieler Modehäuser sind – er wurde missbilligend zur Kenntnis genommen. Die Missbilligung heißt: Man ist der Sache mit den Taschen leid. Bei Céline, das sagte der Präsident Jean-Marc Loubier nach dem Defilee, machen Accessoires 60 Prozent, die Mode 40 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Hier gibt es hübsche Krokodillederne, rein größenmäßig gesprochen fast selbst ein kleines Krokodil. Und Chanel zeigte Shoppingbags aus Lack an Ketten, in Form und Größe: Ikea.

Gut möglich, dass die Rückkehr der Form auch hier begründet liegt – in der Wichtigkeit, die das Accessoire bekommen hat. Ein Modehaus, das expandieren will – und wachsen wollen derzeit alle: die neuen Märkte warten, viele drängt die Börse – muss stilbildend sein, in der Mode erkennbar. Gerade wenn es schließlich Taschen verkaufen will. „The DNA of the brand“, die Identität der Marke, davon ist beständig die Rede. Es wird immer mehr die Rede davon sein. Miuccia Prada, die auf den Mailänder schauen eine Kollektion von „urban warriors“ zeigte, in der die Oberfläche – Felle für den urbanen Dschungel – immer auch die Silhouette betraf – also: sehr modern war – beginne, so ist zu hören, das „Made in Italy“ zunehmend durch ein „Made by Prada“ zu ersetzen. Die Form, die Modernität, die Haltung – eine Expansionsstrategie? Die Zweitlinie Miu Miu jedenfalls zeigt sie erstmals nicht in Mailand, sondern in Paris. Doch bleiben wir à jour. Und halten uns zurück.