: Ein Teilerfolg für Michail Chodorkowski
JUSTIZ Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt den Strafvollzug im Fall des russischen Unternehmers und Putin-Gegners und sieht auch dessen Recht auf einen fairen Prozess verletzt
FREIBURG taz | Der russische Unternehmer und Putin-Gegner Michail Chodorkowski ist kein klassisches Opfer von politischer Justiz. Das stellte jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg fest. Seine 2005 erfolgte Verurteilung wegen Steuerhinterziehung sei in der Sache nachvollziehbar gewesen.
Michail Chodorkowski war als Chef der Ölfirma Jukos einst der reichste Mann Russlands, unterstützte aber die russische Opposition. Es gab deshalb einen weltweiten Aufschrei, als Chodorkowski und sein Geschäftspartner Platon Lebedew 2003 verhaftet und 2005 zu acht Jahren Straflager verurteilt wurden. Die Behörden warfen ihnen massive Steuerhinterziehung vor. Jukos habe fiktive Geschäfte mit Briefkastenfirmen in Niedrigsteuerzonen abgewickelt. Ihren Managerlohn hätten Chodorkowski und Lebedew fälschlich als Beratungshonorare deklariert.
Wie der Straßburger Gerichtshof feststellte, waren die strafrechtlichen Vorwürfe berechtigt. Selbst wenn manche Akteure auf staatlicher Seite auch politische Motive gehabt haben mögen, so sei der Kern des Verfahrens doch „solide“ gewesen. Dass die russischen Behörden erstmals gegen solche lange praktizierten Steuerstrategien vorgingen, könne auch mit Beweisschwierigkeiten zu tun haben, so die Richter unter Vorsitz von Isabelle Berro-Lefèvre aus Monaco.
Im Detail äußerten die sieben Richter aber auch schwere Kritik an Russland. So beanstandeten sie, dass die Angeklagten im Moskauer Prozess in einem Käfig sitzen mussten, obwohl sie nicht als aggressiv aufgefallen waren. Dies sei eine unzulässige „erniedrigende Behandlung“ gewesen. Zudem sei das „Recht auf einen fairen Prozess“ verletzt worden, weil sich die Gefängnisverwaltung alle Papiere, die Chodorkowski und Lebedew mit ihren Anwälten austauschten, vorab zur Prüfung vorlegen ließ.
Die EGMR-Richter rügten auch den Strafvollzug von Chodorkowski in einer sibirischen Strafkolonie, rund 6.000 Kilometer von Moskau entfernt. Dafür habe es keinen vernünftigen Grund gegeben, weshalb sein „Recht auf Familienleben“ verletzt wurde. Russland muss Chodorkowski nun 10.000 Euro Schadenersatz zahlen. In vielen anderen Punkten wurden die Vorwürfe der beiden russischen Exmanager aber zurückgewiesen. So konnte nicht belegt werden, dass die Richterin im Moskauer Prozess parteiisch war.
Das Straßburger Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung können sowohl die russische Regierung als auch die beiden Kläger noch Rechtsmittel einlegen, um eine Entscheidung der Großen Kammer mit 17 Richtern zu verlangen.
Der Richterspruch hat zwei Vorgänger: Chodorkowski hatte im Juni 2011 einen ähnlichen Teilerfolg zu seinen U-Haftbedingungen erzielt. Im Herbst 2011 entschied der EGMR auf Klage von Jukos, dass Russland das Unternehmen zwar nicht willkürlich zerschlagen hatte, aber Verfahrensrechte verletzte.
Chodorkowski sitzt immer noch in Lagerhaft. 2010 wurde er erneut verurteilt, diesmal wegen Öldiebstahls. Derzeit ist seine Freilassung für Oktober 2014 vorgesehen. Über die zweite Verurteilung Chodorkowskis wird der EGMR noch entscheiden (Az.: 11082/06). CHRISTIAN RATH