: Zementgarten an Fluchtlinie
Dagegen sind viele, Rolf Steineke klagt: gegen den Ausbau der Schwachhauser Heerstraße. Dem soll er sein Grundstück opfern – wie schon vor 50 Jahren. Besuch in einem Garten, der keiner mehr ist
Bremen taz ■ Acht Meter sind es von der Fassade. Oder 16 Schritte, immer gerade weg vom Haus. Rolf Steineke überquert den Gehsteig, den Radweg, steigt den ersten Bordstein hinunter. Zwischen zwei Stoßstangen bleibt er stehen, mitten auf dem Parkstreifen, links VW, rechts Mercedes, einen Meter weiter der Verkehr. „Hier war früher der Zaun“, sagt Steineke. Sein Blick gleitet zurück zum Haus, über Quadratmeter von Betonplatten: sein Garten.
Beziehungsweise das, was einmal Garten war, früher, als Steineke in Tübingen mit Baumwolle handelte und seinem Großvater das Haus gehörte. Da begann auf dem heutigen Parkstreifen der Gehweg, den trennte eine Lindenreihe vom Radweg, und dahinter folgten dann Fahrbahn und Straßenbahn. Die Gleise liegen noch unverändert.
1957 aber beschlossen Senat und Bürgerschaft den ersten Ausbau der Schwachhauser Heerstraße. Für das Haus Nr. 9, zwischen Bismarckstraße und Concordia-Tunnel gelegen, bedeutete der „Fluchtlinienplan“, den das Stadtplanungsamt vorlegte: „Die vorhandene Einfriedung des Vorgartens ist abzubrechen und die gesamte Vorgartenfläche bis in Straßentiefe zu bringen. Die Freitreppe von der Terrasse ist abzubrechen, ein neuer ebenerdiger Eingang ist im Souterrain herzustellen. Die im Souterrain vorhandene Treppe aus Eichenholz ist abzubrechen…“ Den Linden vor dem Haus erging es ähnlich.
Fünf der acht Meter Vorgarten enteignete die Stadt, für die restlichen drei beanspruchte sie das Nutzungsrecht. Das Haus bekam ein hässliches Schaufenster, der Autoverkehr stadtauswärts eine zweite Spur. Steinekes Großvater, ein angesehener Arzt, ließ es geschehen. „Er war schon alt“, sagt Steineke. Es klingt wie eine Entschuldigung.
Steineke ist heute 66, vor ein paar Jahren hat er Lärmschutzfenster einbauen lassen in sein Haus, vier Millimeter dickes Glas. Zu alt? Die letzte Ausbildung des Kaufmanns, die zum Altenpfleger, liegt gerade einmal 16 Jahre zurück. Steineke also wehrt sich.
„Anfechtungsklage“ hat er erhoben, mit Unterstützung der Bürgerinitiative „Keine Stadtautobahn“, gegen den Planfeststellungsbeschluss des Bausenators. Der will die Schwachhauser Heerstraße durchgängig vierspurig machen, den Concordia-Tunnel aufweiten – und dafür nochmals einen Meter von Steinekes ehemaligem Vorgarten in Beschlag nehmen. Steineke will das verhindern. „Das würde noch mehr Verkehr anziehen“, sagt er. Das Gericht solle den Planfeststellungsbeschluss daher aufheben und zwar insbesondere „insoweit, als er zwei doppelspurige Fahrbahnen vorsieht“. Für die, ist Steineke sicher, gebe es gar keinen Bedarf.
Die Straßenplaner sehen das anders. Insbesondere zur Stoßzeit sei die Kapazitätsgrenze der Straße erreicht. Steineke weist aus dem Fenster, es ist halb fünf. Von Stau keine Spur.
Als die Planungen für den Straßenausbau 1987 vorerst auf Eis gelegt worden waren, pflanzten die Ausbau-GegnerInnen einen Baum: auf einem Grünfleck hinter dem Tunnel, in einer Tonne. Sollte er seinen Prozess gewinnen, sinniert Steineke, wäre abermals ein Baum fällig. Aber nicht mehr in einer tragbaren Tonne. Sondern im Boden, „vor meinem Haus“. Armin Simon