: Furchtlos und unbequem
PANTER-PREIS-KANDIDAT V Jenas Stadtjugendpfarrer Lothar König lässt sich kein bisschen einschüchtern, weder durch falsche Aussagen noch durch Neonazis
■ Geboren: 1954 in Leimbach
■ Berufe: Zerspannungsfacharbeiter, Diakon, Pfarrer (der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen)
■ Engagement: gegen Neonazis, für Punks, Alternative, Migranten
■ Auszeichnungen: Förderpreis der Martin-Niemöller-Stiftung, Bundesjugendförderpreis – und dieses Jahr der „Thüringer Demokratiepreis“
VON MARIE-CLAUDE BIANCO
Etwa 15 junge Frauen und Männer sitzen an diesem Sonntagmittag in einem großen Stuhlkreis im Hof der Jungen Gemeinde Stadtmitte (JG) in Jena. Fahrradskulpturen hängen an Drahtseilen über den Köpfen der Anwesenden, an den Wänden Plastiken aus Holz und Metall, rechter Hand ist ein großes Frühstücksbuffet aufgebaut.
Mittendrin Lothar König – mit lauter Stimme organisiert der Stadtjugendpfarrer die letzten Vorbereitungen für die diesjährige „Werkstatt“. Zusammen mit den jungen Punks und Alternativen richtet er schon seit Jahren diese Veranstaltung in der JG aus – eine Woche mit Konzerten, Workshops, Theater, Kino, Sportveranstaltungen und vielem mehr.
Die Stimmung ist aufgeräumt, gut. Trotzdem muss der Pfarrer immer mal wieder laut lospoltern, wenn ihm die jungen Leute zu tiefenentspannt werden. Dafür ist noch zu viel vorzubereiten. Wer übernimmt das Frühstück, wer die Betreuung der Bands; jemand muss die palästinensischen Gäste betreuen, ein anderer sich um die israelischen kümmern, die zwei Tage später eintreffen werden; der „Papst-Käfig“ muss noch über dem Eingang der JG angebracht werden – so geht es immer weiter. Lothar König steht mächtig unter Strom. Denn neben den Vorbereitungen für die „Werkstatt“ stehen ihm auch die nächsten Prozesstage vor dem Amtsgericht Dresden bevor.
Der 59-jährige Pfarrer mit dem grauen Rauschebart und der obligatorischen Selbstgedrehten zwischen den Lippen – inzwischen ist er auch landesweit sehr bekannt worden. Weil er vor Gericht steht. Beschuldigt wird er, bei einer Antinazidemo im Februar 2011 vorsätzlich zur Gewalt gegen Polizisten aufgerufen und einen Steinewerfer vor der Polizei geschützt zu haben.
Im März dieses Jahres begann der Prozess gegen König. Die Vorwürfe seien konstruiert und die Beamten hätten falsche Angaben gemacht, so der Pfarrer, der sich schon seit Jahrzehnten gegen Nazis, für Flüchtlinge und in der Anti-AKW-Bewegung einsetzt. „Ich rufe nicht mal dazu auf, Nazis anzugreifen!“, sagt er empört. Niemanden handfest anzugreifen – das ist die Grundlage seiner Arbeit, seines Glaubens.
Der 1954 auf einem Bauernhof in Nordhausen geborene König hat sich schon immer für andere eingesetzt. Der frühe Tod seiner Geschwister habe ihn geprägt, ist sich König sicher. Als er in der zweiten Klasse war, wurden Kriegsflüchtlinge aus Schlesien im Dorf angesiedelt.
„Die hatten ein hartes Leben, und die drei Kinder wurden in der Schule fertiggemacht. Da habe ich die Seiten gewechselt und denen geholfen“, erinnert er sich. Überhaupt konnte König nicht stillhalten im DDR-System und auch seinen Eigensinn nicht für sich behalten.
„1969 war meine erste Hausdurchsuchung“, erzählt der unangepasste Geistliche. „Im Jahr nach der Niederschlagung des Prager Frühlings malte ich ein Graffito an eine Hauswand, und im Nu waren Polizei und Stasi bei uns zu Hause.“ Die Folgen: König musste die Schule nach der zehnten Klasse verlassen, da er keine Zulassung zum Abitur erhielt – ein Studium war damit auch ausgeschlossen.
Stattdessen musste der Stones-Fan seinen Militärdienst leisten, einen Zivildienst gab es in der DDR nicht. Einige seiner Freunde, die den Weg der Totalverweigerung wählten, kamen in den Knast. „Die Leichtigkeit des Lebens verflog – die Leute wurden fertiggemacht. 1973 zerfiel die ganze Langhaarigenszene“, so König, der sich selbst auch als Achtundsechziger sieht. „Ein Teil ging zur Kirche, ich hing bei der Armee.“
Genug vom Gestrigen nun, für die „Werkstatt“ muss noch der sogenannte „Papst-Käfig“ an der Fassade des Gemeindehauses in der Johannisstraße angebracht werden. Ein legendäres Stück, dieser „Käfig“. Eigentlich ein Bambusgerüst für einen Graffitiworkshop der „Werkstatt“ von 2011, brachte es die Junge Gemeinde von Jena im Jahr des Papstbesuchs durch einen Bericht bei Spiegel Online bundesweit in die Schlagzeilen.
Nachdem die Gemeindemitglieder neben den „Käfig“ ein Transparent aufhängten, das zu einer Auseinandersetzung mit dem Papst und der katholischen Kirche aufrief, nannten die Jenaer das Bambusgerüst scherzhafterweise „Papst-Käfig“ – seither wird er jedes Jahr hergezeigt.
Lothar König kam im Oktober 1990 nach Jena. Dass er sich seither gegen die Naziszene in der Region engagiert, erklärt sich fast von allein. Schon in der DDR gab es rechte Skinheads. „Punks und Autonome wurden zwischen 1990 und 1993 tagtäglich angegriffen.“
Seine Junge Gemeinde wurde zum Zufluchtsort für Autonome, Linke und auch Migranten in Jena. Damals versuchte man mit dem Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit gegenüber rechtsradikalen Jugendlichen“, diese aus der Szene herauszulösen.
Auch König dachte anfangs noch, man könnte über die gemeinsame Jugendarbeit mit den Skinheads deren Gesinnung zum Verschwinden bringen. Doch nachdem rechte Jugendliche 1992 mit Baseballschlägern Angehörige der JG angriffen, hatte sich diese Hoffnung erledigt. Im selben Jahr versuchten um die 100 Neonazis das Gemeindehaus zu stürmen. Steine flogen, der Pfarrer und die Jugendlichen wurden immer wieder zusammengeschlagen.
„Mein Nazivater ist vor drei Jahren gestorben“, berichtet er, „und auch sein Vater war ein Nazi. Mein Großvater mütterlicherseits war hingegen im Widerstand.“ Das prägt. König muss einfach dagegenhalten. Auch weil er 1997 von Burschenschaftlern schwer verletzt wurde. Die Narbe in seinem Gesicht von einem Schlagring ist noch deutlich sichtbar.
■ Nominierte: Sechs KandidatInnen hat unsere Jury für den Panter Preis 2013 vorausgewählt. Es ist ein Preis für Einzelpersonen und Initiativen, die sich mit großem persönlichem Einsatz für andere starkmachen und mutig Missstände aufdecken.
■ Verleihung: Zwei mit je 5.000 Euro dotierte Preise werden vergeben. Den ersten ermittelt eine taz-Jury mit prominenter Hilfe, den Preis der LeserInnen vergeben Sie. Am 14. September werden – Schirmherrschaft: die taz Panter Stiftung – im Deutschen Theater Berlin die Preise verliehen.
■ Porträts: In der taz.am wochenende stellen wir KandidatInnen für den Panter Preis 2013 vor. Zunächst waren es die SeniorInnen der Stillen Straße aus Berlin-Pankow, danach die AktivistInnen vom Flüchtlingscamp Berlin und die Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand e. V. Vorige Woche stellten wir die couragierte Arbeitsagentur-Mitarbeiterin Inge Hannemann hier vor.
■ Wahlen: Ab 6. August haben Sie die Möglichkeit, Ihre Nummer eins zu wählen: per Mail (panter@taz. de), per Post oder auf www.taz.de/panter.
Doch es gibt auch genug Jenenser Bürger, die des Geistlichen Engagement übel nehmen. Manch ein Unternehmer und Politiker ist wenig von Königs Öffentlichkeitsarbeit angetan – sie fürchten um den guten Ruf ihrer Stadt. 1996 versuchte die Polizei nachzuweisen, dass in der JG Drogen gehandelt werden. Nach einer ergebnislosen Razzia musste sich der Thüringer Innenminister für die Aktion entschuldigen.
Auch die aktuellen Vorwürfe gegen König werfen viele Fragen auf. Seine Anwälte konnten immer wieder entlastendes Beweismaterial vorlegen, das in den Prozessakten aber nicht erfasst wurde. Schließlich konnten sie durchsetzen, Einsicht in das polizeiliche Videomaterial von besagter Antinazidemo in Dresden zu erhalten. Auch hier findet sich König entlastendes Beweismaterial, das seitens der Staatsanwaltschaft nicht ins Verfahren eingeführt worden war.
Mehrere Polizisten haben nach Lothar Königs Überzeugung bewusst falsche Aussagen gegen ihn gemacht. Mittlerweile ist der Prozess aufgrund des neuen Beweismaterials ausgesetzt. Lothar Königs Anwälte beantragten nicht nur die Einstellung des Verfahrens, sie haben auch gegen einen Polizisten Anzeige wegen der Verfolgung Unschuldiger gestellt.
Für den Stadtjugendpfarrer, der seine Unschuld stets betont hat, wäre die endgültige Einstellung des Verfahrens nicht nur eine späte persönliche Genugtuung – er könnte sich endlich wieder seinen Aufgaben widmen. Gegen Neonazis kämpfen – und für eine tolerantere Gesellschaft.