mit köhler auf tour : Kunst für kleine Schuhputzer
Horst Köhler hat nicht viel Zeit. Gerade eine halbe Stunde nimmt der Bundespräsident sich, um sich die Ausstellung „Listros – A dream in a Box“ in der gleichnamigen Galerie in Tiergarten anzuschauen. Immerhin: Als „sehr interessant“ würdigt Köhler die Bilder und das Projekt. Große Worte, gelassen ausgesprochen.
Denn es sind beklemmende Fotos, die in der kleinen Galerie gezeigt werden. Schuhputzer, die in der äthiopischen Hitze vor ihren Kunden niederknien. Kaum einer der Kinder und Jugendlichen hat selbst festes Schuhwerk an. Und die Schuhe, die sie putzen, sind meist größer als ihre kleinen Hände. „Listros“ werden in Äthiopien die Schuhputzer genannt, die auf der Straße leben. Mit ihnen setzt sich auch das gleichnamige Berliner Projekt künstlerisch auseinander.
Initiator Dawit Shanko hat selbst als Kind in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, Schuhe poliert. „Das Schuhputzen ist eine Ausgangssituation, ein Lebensabschnitt“, erzählt Shanko. Ein ganzes Jahr verbrachte er als Zwölfjähriger auf der Straße, immer auf der Suche nach Kunden. Unter einem Arm trug er seine Existenzgrundlage, die Schuhputzerbox. In der anderen Hand hielt er eine Blechdose, auf der er sitzen konnte. Heute lebt Shanko in Berlin und arbeitet als Bauingenieur.
Seine Erinnerungen von den Straßen seiner Heimatstadt konnte er aber nie verdrängen. Er gründete den Verein „Listros – A dream in a box“, um die jungen Menschen in seiner Heimat zu unterstützen. Vor vier Jahren ließ er 20 äthiopische Schuhputzer ihren Alltag mit einer Kamera dokumentieren und stellte die Fotografien in Berlin aus.
Von den ergreifenden Bildern haben sich über 70 Künstler aus aller Welt inspirieren lassen. Sie haben ihre eigenen Kunstwerke zu dem unkonventionellen Projekt „Listros“ beigesteuert. Im Gegensatz zu den Fotografien sind es bunte Gemälde, die den Alltag der Listros darstellen und die ebenfalls in der Galerie zu besichtigen sind. Zu sehen sind dabei oft lachende Kinder, die ihren Kunden fröhlich die Schuhe putzen. Ein Bild des Berliner Künstlers Jim Avignon zeigt etwa einen Schuhputzer, wie er auf einen Kunden wartet. Von Armut ist darauf nichts zu sehen; vielmehr suggeriert es, dass die Arbeit recht entspannt sei.
Mittlerweile haben nach Shankos Angaben über 100.000 Besucher die Ausstellung in Berlin, Leipzig und Hamburg besucht. Um das Projekt weiter voranzutreiben, wurde 2004 ein Architekturwettbewerb initiiert. Die zehn besten Entwürfe sollen umgesetzt werden. „Damit die Kinder und Jugendlichen unter respektablen Umständen arbeiten können“, erzählt Shanko. Das ist kein neuer Ansatz: In Addis Adeba wurden bereits über 100 Arbeitsstätten für die „Listros“ gebaut, auf Anregung des Vereins.
„Eine kleine soziale Insel für die Kinder“, bezeichnet Axel Schultes schwärmerisch seinen Entwurf. Der Architekt, der sonst meist Prunkbauten wie das Bundeskanzleramt skizziert, war von dem Hilfsprojekt so begeistert, dass er sich nicht lange bitten ließ. „Ein Ort fürs Schuheputzen, das ist im Süden ein Ort der Kommunikation“, weiß Schultes. Das Argument, mit dem Projekt Kinderarbeit zu unterstützen, das lässt Schultes nicht durchgehen. „Wir unterstützen Kinder, die arbeiten müssen, nicht Kinderarbeit“.
„Sehr interessant“ – sicher wären den Worten des Bundespräsidenten noch einiges hinzuzufügen. Doch Horst Köhler hat gleich den nächsten Termin – diesmal bei der Bundeswehr. Als Geschenk für die wenigen warmen Worte schenkt ihm Dawit Shanko ein Bild von einem Schuhputzer. CIGDEM AKYOL