: Achtung, Unterbier!
Wider die Gefahr des Austrocknens: Zoigltrinken in Windischeschenbach
„Wer keine Ahnung vom Bier hat, hat keine Ahnung von der Weltgeschichte“, behauptete Oskar Maria Graf. Und während ich über dieses geschichtsphilosophische Axiom nachdrücklich nachdenke, fällt mir ein, dass übers Bier wahrscheinlich besser schweigen sollte, wer noch nie einen Zoigl getrunken hat.
Zoigl heißt nichts anderes als „Zeiger“. Der Zeiger ist der sechszackige Brauerstern, der früher zwecks Anzeige des Tatbestands am Haus befestigt wurde, dass es hier ein Bier zu trinken gebe. Den Zoigl nimmt man in einer bestimmten Ecke der Oberpfalz zu sich, denn nur dort ist er zu bekommen.
In Windischeschenbach zum Beispiel, ein paar Kilometer nördlich von Weiden, dieser „Scheißstadt, die weggehört“ (Martin Z., Weiden), schickt es sich, wohl schon von mittags an in einer der Zoiglwirtschaften herumzuhängen, über deren Öffnungstage der Zoiglkalender, ein streichholzschachtelgroßes Faltpapier, Auskunft gibt. Immer schön vier Tage lang und immer irgendwie schön abwechselnd sind diese Lokalitäten, in denen ein Einrichtungsgeist herrscht, der schwer auf irgendeinen Begriff zu bringen wäre, Orte der psychischen Restauration ohnegleichen. Ob beim „Posterer“, beim „Binner“, beim „Fiedlschneider“ oder in einer Bierstube namens „Da Roude“ – überall werden seelische Tiefststände durch die generös bemessene Einnahme des unfiltrierten, nach einer maximalen Reifedauer von acht Wochen frisch auf den Tisch gesemmelten Zoigls kurzerhand überflutet und weggeschwemmt und dergestalt in hochgemute Höchststimmungen verwandelt, in denen einen die Weltgeschichte mal kreuzweise am Arsch lecken kann. Die am nächsten Morgen spürbare somatische Down-force-Dynamik ist allerdings auch nicht zu verachten.
Welthistorisch bedeutsam mag dem einen scheinen, dass Windischeschenbach das tiefste Bohrloch Deutschlands beherbergt – dem andern, das hat vor längerer Zeit mal die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung erkannt, sein Status als „Hochburg der Zoiglkultur“.
Windischeschenbach ist ein Ort, in dem rund um das bemooste, hutzelige Bräuhaus nicht nur nützliche Schildhinweise wie „Schweinebestand – für Unbefugte Betreten verboten!“ und stabile Parolen wie „SPD – Friedensmacht“ zu bestaunen sind; sondern auch die luftigsten, in einem phonetisch zwischen Turkmenisch und Altugrisch angesiedelten Dialekt erwirkten Kommunikationen mit in der Regel irreparablem Ausgang vom Zaun gerissen werden, in einer, so scheint’s, ewig währenden Zoiglkawumms-Atmosphäre aus Wirbel und Wind um allerhand nicht näher Spezifizierbares.
Also – es ist das alles, wie ersichtlich, nicht einfach zu erklären. Selbst ein Hirnbelüftungsmarsch durchs verwunschene, nahe Waldnaabtal mit Biberburgen richtet diesbezüglich nicht mehr allzu viel. Deshalb eventuell doch eher gleich mal einen stützenden, fassgegärten Windischeschenbacher Zoigl nachgepresst, eine malzhopfige Herrlichkeit, die maßgeblich vom Sperber Robert ins Werk gerichtet wird, dem obersten Biersieder des Ortes, an dem sich die seit dem 13. Jahrhundert bezeugte Tradition der Kommunbrauerei erhalten hat.
„Das Kommunbrauen funktioniert so“, unterrichtet uns der Zoigl-Zenmeister Michael Rudolf, „dass die Brauberechtigten ihr ‚Kesselgeld‘ zusammenlegen und einen Braumeister ernennen. Vorher haben sie noch zusammenlegen müssen, um ein Bräuhaus zu bauen. Dort siedet der ehrenamtlich bestallte Braumeister im Herbst und im Frühjahr Bier. Das Heizholz fürs Maischen und Würzekochen hat jeder selbst gekauft oder eingeschlagen; Malz, Hopfen, Wasser bezahlen sie gemeinschaftlich.“ So, jetzt wissen Sie das auch.
Wer jenseits der Zoiglstuben sichere, schöne, ja gemütliche Zuflucht sucht und der motorischen Desintegration zumindest in den Morgenstunden wehren will, strebe eine Unterkunft im „Weißen Schwan“ am Pfarrplatz an. Wenn allerdings der Metzgermeister und Inhaber Hermann Schrembs während des Frühstücks an Ihren Tisch tritt, Sie einfühlsam mustert und diagnostiziert: „Ihr hoabt’s a Unterbier“ – dann schleppt er nicht bloß umgehend sechs frische Zoigl daher und erläutert: „Nicht dass ihr mir austrocknet hier am Tisch“; dann hat, im Hinblick auf das, was dieser Tag nun unweigerlich neuerlich bringen wird, vielleicht wieder mal Oskar Maria Graf fast voll und ganz recht: „Unser Leben ist nichts als ein Geschwätz und ein Gelächter.“
JÜRGEN ROTH