Virus kommt mit Dreck und Küken

Schlachtabfälle und Exkremente werden teils illegal als Dünger und Fischfutter vertrieben

von WOLFGANG LÖHR

„Die Rolle der Zugvögel bei der globalen Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 muss neu bewertet werden“, fordern Vogelschützer. Verantwortlich für die globale Wanderung des gefürchteten Influenzavirus sind nicht, wie häufig behauptet wird, die Wildvögel, sondern der legale und illegale Handel mit Abfällen und infizierten Produkten der weltweit agierenden Geflügelindustrie. Mit dem Export von Millionen von einen Tag alten Bruteiern und jung geschlüpften Hühnerküken auch aus aktuellen Infektionsgebieten könnte H5N1 ungehindert von Kontinent zu Kontinent springen, warnt Birdlife, der internationale Dachverband der Vogelschutzorganisationen.

Für Birdlife spielen Wildvögel bei der Ausbreitung der Vogelgrippe nur „eine untergeordnete Rolle“. Sie sind daher Opfer des H5N1 und des zunehmenden Handels mit verseuchten Geflügelprodukten und nicht Verursacher der immer weiter um sich greifenden Geflügelseuche. Als Beweis für ihre Position führt Birdlife die jüngsten Infektionsfälle an. Die Seuchenausbrüche in Südostasien, Europa und Afrika folgten nicht dem geografischen und zeitlichen Muster der Vogelzüge, schreibt die Organisation. Zudem seien in der Türkei, Nigeria, Indien und Ägypten die ersten Infektionsfälle jeweils in Geflügelbeständen aufgetreten. Wären die Zugvögel die Schuldigen, hätten jedoch zuallererst die Wildvögel darunter leiden müssen. Auch das Fehlen von Seuchenausbrüchen entlang der Vogelzugrouten widerspreche der Behauptung, über lange Strecken werde H5N1 vor allem durch Wildvögel übertragen.

Nicht erklärbar mit der Zugvogelthese sei auch das Ausbleiben von Seuchenausbrüchen während des Winters in Südasien und Australien sowie Japan. Millionen von Zugvögeln wären, so Birdlife, ab Herbst aus den südostasiatischen und chinesischen Befallsgebieten in diese Regionen gezogen. Und immer noch sei dort keine H5N1-Infektion aufgetreten.

Die einzige Erklärung für die großen und oftmals unerklärlichen Sprünge, die das Virus offensichtlich macht, ist für Birdlife der weltweite Handel mit Geflügelprodukten und -abfällen. So weist die Vogelschutzorganisation darauf hin, dass in den von H5N1 betroffenen Ländern Türkei, Nigeria, Indien und Ägypten eine intensive Geflügelindustrie vorhanden ist. In der Türkei zum Beispiel gebe es eine „Hühnerfabrik“, die allein schon rund 100 Millionen Bruteier pro Jahr produziere. Ein Großteil von ihnen werde in den Nahen Osten und nach Osteuropa exportiert. Ägypten exportiert rund 180 Millionen Eintagesküken pro Jahr. Die Ukraine und Rumänien, beides Infektionsregionen, hingegen importieren riesige Mengen an „Geflügelprodukten“: 12 Millionen Küken pro Jahr wurden 2004 in die Ukraine exportiert, nach Rumänien 16 Millionen.

Auch Nigeria ist eine Drehscheibe beim Handel mit Geflügelprodukten. Auf großen Geflügelfarmen wird für die ganze Region Hühnerfleisch produziert. Nigeria hat in Afrika die größte Konzentration an kommerziellen Geflügelfarmen. Sie haben einen riesigen Bedarf an Bruteiern und jungen Küken. Der gesamte Nachschub müsse jedoch importiert werden, berichtet Birdlife, denn im Land selbst fehlten das Know-how und die Technik, um die riesigen Mengen an Küken zu produzieren. Wichtigster Handelspartner von Nigeria ist China, wo die Vogelgrippe inzwischen schon in über der Hälfte der Provinzen aufgetreten ist.

Besonders brisant und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist die zunehmende Praxis, Schlachtabfälle von Geflügelfarmen und Exkremente als Fischfutter in Aquakulturen zu nutzen oder als Dünger auf die Äcker auszubringen. Auch mit diesen Abfällen finde eine weltweit zum Teil illegaler Handel statt. Dabei ist den Vogelgrippeforschern schon länger bekannt, dass H5N1 „bis zu 35 Tage“ in Exkrementen überleben kann.

Um die Vogelgrippe einzudämmen, fordert Birdlife daher, dass die internationalen Seuchenbehörden sich verstärkt um den Handel mit Geflügelprodukten kümmern. Er mache die Zugvögel erst zu Überträgern der Vogelgrippe.

Im deutschen Landwirtschaftsministerium (BMELV) ist man der Birdlife-Studie gegenüber aufgeschlossen. Dort würden wichtige Verbreitungsmöglichkeiten aufgezeigt. In der Anfangsphase habe man sich auch auf die illegale Einfuhr von Geflügelprodukten konzentriert, heißt es beim BMELV. Jetzt stehen jedoch die Vogelzüge im Vordergrund. Auch für das Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems haben die Zugvögel Priorität. Hier geht man derzeit davon aus, dass H5N1 mit Singschwänen aus Nordrussland gekommen ist. Die europäischen Singschwäne und die asiatischen Brutkolonien würden sich dort überlappen. Das Virus könnte dort übertragen worden sein. Möglich ist aber auch, dass er dort erst durch illegale Geflügelabfälle hingekommen ist. Denn, so Birdlife, auch in Russland würden Abfälle aus der Geflügelindustrie in Aquakulturen verwendet.

Infos: www.birdlife.org