: Kinder in der Stadtteilsoße
VOLKSENTSCHEID Schulreformgegner Walter Scheuerl entdeckt das Soziale: Je kürzer die Grundschule, desto früher kämen Benachteiligte aus ihren Vierteln
150.000 Euro hat der Verein „Wir wollen lernen“ (WWL) laut Sprecher Walter Scheuerl von November 2008 bis Ende 2009 ausgegeben. Zurzeit sei die Kasse leer.
■ Das Geld sei zu 75 Prozent durch Kleinspenden herein gekommen, der Höchstbetrag habe bei 5.000 Euro gelegen.
■ Erstattung: Jede Spende über 2.500 Euro muss WWL nachweisen. Dann gibt es nach dem Volksentscheid pro Stimme 10 Cent vom Staat – bis maximal 40.000 Euro.
Der Wahlkampf hat begonnen. Am Donnerstag hat die Initiative „Wir wollen lernen“ (WWL) für den 18. Juli den Volksentscheid zur Schulreform angemeldet. Einen Vorgeschmack auf die nun zu erwartenden Diskussionen gab es am Abend zuvor: Da traf Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) im NDR-Hörfunk unter anderem auf WWL-Sprecher Walter Scheuerl.
Dieser führte ein neues Argument gegen die sechsjährige Grundschule ein. „Wir haben Stadtteile mit sozial benachteiligten Familien“, sagte er. Lasse man dort die Kinder „für sechs Jahre in ihrer Soße kochen“ ohne die Möglichkeit, „ab Klasse 5 in die weiterführende Schule zu gehen, wo die Kinder sich mit anderen Kindern treffen, anregende Lernmilieus treffen, dann benachteiligen wir gerade die Kinder aus sozial benachteiligten Familien“.
Woraufhin ein Zuhörer fragte: „Was meinen sie mit Soße? Und wollen sie ganze Stadtteile in Hamburg aufgeben?“ Da sagte Scheuerl zwar, „Soße“ sei nicht der passende Begriff, blieb aber dabei: Die Reform führe „im Kern dazu, dass Kinder in ihrer Nachbarschaft festgehalten sind“.
Konsequent weitergedacht hieße Scheuerls Art der Förderung, in „Stadtteilen mit sozial benachteiligten Familien“ gar keine weiterführenden Schulen mehr anzubieten. Doch daran denkt er mitnichten. Den übrigen Kindern soll mit Ganztagsschulen geholfen werden.
Im NDR-Studio wunderte sich die Schulsenatorin: „Meinen Sie, wir müssen die Kindern ganz schnell aus Barmbek rausholen?“, fragte sie. „Oder aus Harburg?“ Eine gute Mischung sei wichtig, die Stadt habe aber die Aufgabe, „in jedem Stadtteil, dort, wo die Kinder nachmittags spielen, das beste, exzellente Bildungsangebot zu machen“.
Den Reformgegnern gingen die Argumente aus, erklärte Jobst Fiedler vom Bündnis „Chancen für alle“: Nachdem das Elternwahlrecht und kleine Klassen garantiert sind und der Zeitplan entzerrt wurde, „bleibt nicht mehr viel übrig“, sagte er zu Scheuerl. In der Debatte gebe es viele Verdrehungen, so Fiedler weiter: „Die kann man im sachlichen Ton vortragen. Das können Sie hervorragend.“
Scheuerl seinerseits warf Goetsch vor, viele hunderttausend Euro für eine Kampagne auszugeben. Ein Zuhörer erinnerte gar an die Geschichte von David und Goliath: „Hier kämpft das große Geld gegen eine kleine Volksinitiative.“
Goetsch zufolge plant der Senat bis zu 200.000 Euro für eine Informationskampagne zur Schulreform auszugeben. Laut dem Verein Mehr Demokratie liegen diese Ausgaben „im Rahmen des Üblichen“. KAIJA KUTTER