: Die Stunde der Verschwörungstheoretiker
DATEN Bei der Demonstration gegen Prism kam am Samstag eine illustre Menge zusammen. Allerdings zogen nur 2.000 Teilnehmer vom Kreuzberger Heinrichplatz zum Brandenburger Tor in Mitte
DEMOTEILNEHMER
Der Mann, der bis zum Hut und Sonnenbrille ganz in Schwarz und Grau gekleidet ist, schimpft: dass die Demo ausgerechnet über Facebook organisiert wurde, das sei schlimm. Schließlich sei das soziale Netzwerk eine der bösesten Datenkraken.
Wahrscheinlich denken andere genauso oder zumindest so ähnlich. Jedenfalls sind in Berlin mit knapp 2.000 Menschen mehr Leute auf die Straße gegangen, als vorher bei Facebook angekündigt waren. Bundesweit waren es rund 10.000.
„1984 ist da“, hat ein Mann auf sein Schild geschrieben und spielt damit auf den Überwachungsstaat an, den George Orwell in seinem Roman beschrieben hat. Eine Frau trägt ein Transparent, auf dem steht: „Schwitzen gegen Prism“. Prism, eines der Überwachungsprogramme des US-Geheimdienstes NSA.
Seit Jahrzehnten im Recht
Wenn gegen staatliche Überwachung und für den Schutz von Whistleblowern demonstriert wird, dann ist das auch die Stunde der Verschwörungstheoretiker. Manche sind in einer starken Position, denn sie sind jetzt gar keine Verschwörungstheoretiker mehr. Weil durch Edward Snowdens Enthüllungen klar geworden ist: Unsere Kommunikation wird flächendeckend durch die Geheimdienste überwacht. Das behaupten manche seit Jahrzehnten – und wurden nicht ernst genommen. Aber muss deshalb alles stimmen, was so behauptet wird?
Einer bezeichnet Bundeskanzlerin Angela Merkel auf seinem Schild als „IM Erika“. Er habe sehr starke Zweifel, dass Deutschland noch eine Demokratie sei, sagt er. Ein souveräner Staat sei die Bundesrepublik jedenfalls nicht. Eine Schülerin im Bikinioberteil hat eine Pyramide mit einem wachenden Auge auf ihr Schild gemalt, das Symbol der Illuminaten, rot durchgestrichen. Sie beschäftige sich viel mit Dingen, über die Medien nicht berichten, sagt sie. „Terrorismus ist nicht mehr real für mich.“ Alles Fake, alles ein Konstrukt, ersponnen auf den Bilderberg-Konferenzen. „Ich protestiere, weil ich mich nicht länger auf all die Lügen einlassen will.“
Ungefähr nach der Hälfte der Demostrecke, kurz vor dem Gebäude der taz in der Rudi-Dutschke-Straße, wird dann ein Audioclip abgespielt. Er sei an die gerichtet, kommt aus dem Lautsprecher, die leider nicht hier seien, sondern lieber am Pool lägen. Und an die Medien.
Der Clip stammt von Ken Jebsen, einem ehemaligen rbb-Moderator, der Ende 2011 vom Sender wegen Antisemitismusvorwürfen rausgeschmissen wurde. Die damalige Begründung des rbb: Er habe journalistische Standards nicht eingehalten. Jebsen veröffentlicht jetzt Sendungen auf eigene Faust im Internet.
Der Clip ist eine zehnminütige Anklage. Von der „Systempresse“ ist darin die Rede, eine Bezeichnung, die Neonazis gern verwenden. Von „Medienterroristen mit Presseausweis“, die mitverantwortlich seien für „Mord und Totschlag überall auf der Welt“. Die Journalisten wüssten, dass Krieg geführt wird, „als Beschaffungsmaßnahme für Bodenschätze“, aber sie hielten den Mund, weil sie „extrem feige“ seien. „Ihr macht mit, indem ihr schweigt“, tönt es aus den Lautsprechern. Die Forderung: „Die meisten Pressevertreter gehören hinter Gitter.“ Der Jubel der Demonstranten wird etwas weniger, ein paar Pfiffe sind zu hören.
Neben dem bunt bemalten Wohnmobil, aus dem der Clip abgespielt wird, fangen die Organisatoren der Demo an zu diskutieren. „Es ist Scheiße, was ihr macht“, sagt einer. Kurz danach verkündet ein Mann über den Lautsprecher: „Der Clip, der gerade gespielt wird, ist nicht mit allen Organisatoren abgesprochen. Es gibt mehrere Organisatoren, die sich davon distanzieren.“ Sie seien ja wegen Edward Snowden hier, wegen der NSA-Überwachung, das sei das Thema. Man sei parteiunabhängig und neutral. Dann wird der Spot zu Ende gespielt.
Später auf diese Szene angesprochen, druckst der Friedensaktivist Steffen Aumüller, der die Demo angemeldet hat, ein bisschen herum. „Ich finde den auch nicht so toll“, sagt er über den Clip. „Er ist ein bisschen populistisch.“ Aber es gelte ja die Meinungsfreiheit, deshalb sei es kein Problem gewesen, dass er abgespielt wurde.
Ein junger Mann, Anfang 20, der mit einer Guy-Fawkes-Maske zur Demo gekommen ist, ist deutlicher. „Sehr gut“, fand er. Ken Jebsen sei überhaupt der beste Journalist. Vielleicht übertreibe er es ein kleines bisschen. „Aber irgendwie muss man die Menge ja aufwecken.“ Die Forderung, dass Journalisten ins Gefängnis gehören, sei ja durchaus differenziert: „Nur die Journalisten, die lügen, sollen weggesperrt werden.“ SEBASTIAN ERB
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