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Archiv-Artikel

„Gerechtigkeit, Liebe, Brüderlichkeit, Solidarität“

BRASILIEN Bei der traditionellen Nachtwache im Rahmen des katholischen Weltjugendtags ruft der Papst am Strand von Rio die BesucherInnen auf, sich politisch einzumischen. Rund drei Millionen Gläubige aus Brasilien und aller Welt hören ihm zu

„Mischt euch ein! Ihr seid die Erbauer einer besseren Welt!“

PAPST FRANZISKUS IN RIO

RIO DE JANEIRO dpa/epd | Kurz vor Abschluss des Weltjugendtags hat Papst Franziskus die junge Generation aufgefordert, fest im Glauben und unbequem für mehr Gerechtigkeit und Solidarität zu kämpfen. „Mischt euch ein! Ihr seid die Erbauer einer besseren Welt“, rief der Pontifex am Samstagabend dem Meer von Pilgern an Rios Strand von Copacabana zu.

An der traditionellen Nachtwache (Vigil) des weltgrößten Katholikentreffens nahmen am Vorabend der Abschlussmesse nach Schätzungen der Stadtverwaltung bis zu drei Millionen Menschen teil. Etwa ebenso viele wurden am Sonntag an gleicher Stelle zum Abschluss des Weltjugendtags erwartet.

In seiner sehr politischen Ansprache verwies der Papst darauf, dass er die Massendemonstrationen von jungen Menschen in allen Teilen der Welt aufmerksam verfolgt habe. Es seien junge Leute, die für Veränderungen einträten. „Seid Protagonisten, spielt nach vorne, geht nach vorne, baut eine Welt der Gerechtigkeit, der Liebe, der Brüderlichkeit, der Solidarität“, sagte Franziskus. Sie sollten weiter die Apathie überwinden und eine christliche Antwort auf die sozialen und politischen Unruhen geben, die es in verschiedenen Teilen der Welt gebe.

Bei einem Treffen im Stadttheater von Rio de Janeiro empfing Franziskus auch Vertreter von Indianergemeinschaften und der afrobrasilianischen Religion des Candomblé. In der Zeremonie überreichte der Pataxó-Indianer Ubiraí dem Papst einen traditionellen Kopfschmuck, den er selbst von seinem Vater bekommen hatte. Es gebe keine bessere Person als den Papst, um diesen Kopfschmuck zu überreichen, sagte er. Franziskus nahm das Geschenk an und setzte den Kopfschmuck auf. Erstmals wurde auch ein Repräsentant des Candomblé von einem Papst empfangen. „Das ist ein sehr wichtiger Schritt“, sagte der Candomblé-Priester Ivani dos Santos. Es sei eine Geste, die für Respekt gegenüber der afrobrasilianischen Religion stehe.

Am Rande der Vigil am Samstag kam es wie bereits an den vergangenen Tagen zu Protesten. Provokativ gekleidete Teilnehmerinnen des jährlich weltweit stattfindenden „Slut Walk“ („Schlampenmarsch“) trugen Plakate mit Aufschriften wie „Euer Glaube passt nicht in meinen Uterus“. Die Frauen protestieren gegen die Verharmlosung sexueller Gewalt und dagegen, dass den Opfern oft auch die Schuld an der Tat gegeben werde.

Zur Abschlussmesse am Sonntag, ebenfalls am Strand von Copacabana, wurden nochmals bis zu drei Millionen Gläubige erwartet, darunter neben Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff auch Argentiniens Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner und Boliviens Staatschef Evo Morales. Franziskus wollte auch den Veranstaltungsort für den nächsten Weltjugendtag bekanntgeben.

Nach tagelangem Dauerregen hatten die Veranstalter beschlossen, die Messe von Guaratiba im Westen Rios an die Copacabana zu verlegen. Der seit Wochen mit Tribünen und Lautsprechern hergerichtete „Campus Fidei“ („Feld des Glaubens“) war völlig vom Regen aufgeweicht. Tausende Gläubige verbrachten schon die Nacht am Strand in Schlafsäcken und Zelten. Der Straßenverkehr Rio de Janeiros war mit dem Ansturm restlos überfordert.