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Archiv-Artikel

Künstliches Zahnweh vor Gericht

Seine Haftverschonung nutzte ein 52-Jähriger, um reihenweise Ärzte zu prellen – sie sollten ihn als haftunfähig einstufen. Deswegen sitzt er jetzt wieder auf der Anklagebank

Die Vorsitzende Richterin Garz-Holzmann wünscht sich eigentlich einen kurzen Prozess, doch ihre Vorahnung bestätigt sich. Statt ein Geständnis abzulegen und dafür mit höchstens sechs Jahren Freiheitsentzug bestraft zu werden, entscheidet der Angeklagte Norbert W., sich jeden Anklagepunkt beweisen zu lassen. Und das kann dauern.

Der gelernte Dachdecker und Kaufmann hat seit 1998 regelmäßig mit der Justiz zu tun. Nachdem eine Reihe von Geldstrafen den notorischen Betrüger nicht beeindruckt hatten, verurteilte ihn ebenfalls Richterin Garz-Holzmann vor zwei Jahren zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten, unter anderem wegen Urkundenfälschung, Betrug, Steuerhinterziehung und Fahren ohne Haftpflichtversicherung.

Von der Haft wurde der gebürtige Brandenburger zunächst verschont. Der 52-Jährige witterte sogar die Möglichkeit, sich als haftunfähig einstufen zu lassen. Doch für das rettende Attest benötigte er einen Arzt. Da Norbert W. weder Geld noch eine Krankenversicherung hatte, beschloss er, sich als Privatpatient behandeln zu lassen und die Rechnungen zu prellen.

So lautet der Anklagevorwurf von Staatsanwalt Arndt – auch er kennt den Angeklagten noch aus dem letzten Prozess. Von Dezember 2004 bis Oktober 2005 suchte Norbert W. 14 Praxen verschiedenster Fachrichtungen auf: Orthopäden, Gastroenterologen, Zahn- sowie Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Er schädigte niedergelassene Ärzte genauso wie die Charité, das Evangelische Krankenhaus Hubertus und die Medizintechnik Rostock. Insgesamt schuldet er den Medizinern fast 30.000 Euro. Vor zwei Wochen wurde er in Haft genommen.

Zu den geprellten Ärzterechnungen listet die Anklage noch Fahren ohne Führerschein auf. Außerdem vertuschte Norbert W. den Besitz seiner Segelyacht mit dem bezeichnenden Namen „Take it easy“. Um die Yacht vor der Pfändung des Finanzamts zu retten, behauptete er laut Anklage, sie gehöre seiner geschiedenen Frau. Im Hafen Fehmarn fand man das Schiff und versteigerte es für 64.000 Euro. Damit konnte ein Teil der 444.000 Euro hohen Steuerschuld des Angeklagten beglichen werden.

Norbert W., der in einem zu engen und zu kurzen auberginefarbenen Anzug auf der Anklagebank sitzt, hört sich geduldig die Vorwürfe an. Trotz seiner grau melierten Haare wirkt er wie ein bockiges Kind, dem im Landgericht nur Unrecht geschieht. Die Staatsanwälte beschlagnahmen Unterlagen, die Richterin mag nicht mit ihm telefonieren, und er müsse Briefe an sie schreiben. Doch die strenge Richterin bittet ihn, auch das zu unterlassen: „Es gibt nur einen einzigen Ort, an dem das Gericht mit dem Angeklagten spricht, und das ist der Gerichtssaal.“ Dazu hat der Angeklagte bis Ende April Gelegenheit. UTA FALCK