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Archiv-Artikel

„Es geht einfach zu langsam“

Zahlreiche Projekte und Institutionen sorgen sich um die Frauen in Berlin. Doch die Gleichstellung mit den Männern kommt nur schleppend voran. Es mangelt an Vorbildern: auch und gerade in der Politik

VON ALKE WIERTH

Frauen haben es gut in Berlin. Frieda, Kobra, Flotte Lotte, Existenzia oder auch Goldrausch heißen die Projekte, wo sie sich beraten, betreuen, beschützen oder weiterbilden lassen können. Es gibt den Girls’ Day und die Internetseite LizzyNet für Mädchen sowie die Beratungsstelle Raupe und Schmetterling für ältere Frauen. Es gibt Hotlines und Zufluchtsorte für Opfer von Gewalt, einen Frauensenator und ein Landesgleichstellungsgesetz. Es gibt Gleichstellungsbeauftragte in allen Bezirken und Gender Mainstreaming auf allen Ebenen.

Dennoch haben Frauen es schlecht in Berlin. Sie sind überdurchschnittlich stark von Erwerbslosigkeit und Armut betroffen. Seit Hartz IV haben viele Frauen gar keine unabhängige Existenzsicherung mehr, wenn ihre Partner so viel verdienen, dass sie den Anspruch auf ALG II verlieren. Frauen sind erheblich öfter als Männer Opfer von häuslicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen. Sie stellen den Löwenanteil unter den Alleinerziehenden – nach wie vor eine Existenzform, die viele über Jahre zu Unterstützungsempfängerinnen macht. Frauen verdienen im Schnitt immer noch deutlich weniger als Männer – nicht nur, weil sie schlechter ausgebildet oder bezahlt sind. Sondern weil auch bei den gut Qualifizierten viel mehr weibliche als männliche Beschäftigte Teilzeit arbeiten. Und immer noch wird „Kinder haben“ ebenso wie „Kinder bekommen können“ bei Frauen auf Arbeitsuche oft als Handicap betrachtet, anders als bei Männern, die auch als Väter in der Regel als voll einsatzfähig gelten.

Deshalb findet heute zum 95. Mal der internationale Frauentag statt. Mit zahllosen Veranstaltungen: Um Zwangsheirat geht es bei der Justizsenatorin im Rathaus Schöneberg. Steglitz-Zehlendorf begrüßt Frauen und Mädchen aus aller Welt. Im Rathaus Charlottenburg geht es um kulturelle Interaktion unter Frauen. Neukölln lädt zum legendären Frauenball, Friedrichshain-Kreuzberg zur Berufs-Informationsmesse für Frauen. Manchmal dürfen auch Männer dabei sein: Frauensenator Harald Wolf verleiht im Roten Rathaus den Frauenpreis. Doch überwiegend bleibt frau unter sich. Frauentag in Berlin, das bedeutet vor allem: Frauen diskutieren mit Frauen über Frauenprobleme.

Schreitet die Gleichstellung von Männern und Frauen im bisherigen Tempo voran, wird sie im Jahr 2490 erreicht sein: Diese Berechnung der Vereinten Nationen stimmt wenig optimistisch. Susanne Ahlers (PDS), Staatssekretärin beim Frauensenator, hält sie jedoch für nicht unwahrscheinlich: „Es geht einfach zu langsam.“ Denn trotz aller Bemühungen habe sich Gleichstellungspolitik immer noch nicht als wirklich wichtiges Ziel durchgesetzt. Zwar sei 15 Jahre nach Einführung des Gleichstellungsgesetzes die Quote teilzeitbeschäftigter Männer in der öffentlichen Verwaltung gestiegen, so die Staatssekretärin, doch handele es sich dabei überwiegend um Alters-, nicht um Elternteilzeit. „Und immer noch höre ich in manchen Ausbildungsbetrieben für klassische Männerberufe den alten Spruch: Das können Mädchen doch gar nicht.“

Dass junge Frauen sich nicht zuletzt aus solchen Gründen bei der Berufswahl nach wie vor sehr gerne für die klassischen – in der Regel schlechter bezahlten – Frauenberufe entscheiden, dagegen soll der Girls’ Day helfen. Um auch den Horizont junger Männer zu erweitern, hat die frauenpolitische Sprecherin der FDP, Mieke Senftleben, schon vor Jahren den Boys’ Day ins Spiel gebracht: „Ziel ist es, schulpflichtigen Jungen einen Einblick in die von Frauen dominierten Berufsfelder zu geben, Vorurteile diesen gegenüber abzubauen und somit das Interesse an so genannten Frauenarbeitsplätzen zu wecken“, hieß es in ihrem Antrag von 2003, der im Frühjahr 2005 endgültig vom Parlament abgelehnt wurde: FDP und CDU hatten dafür, PDS, SPD und Grüne dagegen gestimmt.

Dabei besteht eigentlich über alle Parteigrenzen hinweg Einigkeit darüber, dass Gleichstellungspolitik sich nicht mehr nur an Frauen und Mädchen richten darf. Es bringt nicht viel, immer nur mit den Opfern darüber zu diskutieren, dass Gewalt in der Ehe verboten ist. Zwar sind frauenpolitische Themen längst in Bereiche wie Familien-, Arbeitsmarkt- oder Wirtschaftspolitik vorgedrungen, und Teilzeitarbeit, Elternzeit, das alles steht auch männlichen Beschäftigten offen – doch die Zahl der Männer, die das auch nutzen, wächst nur schleichend.

Es mangelt eben an Vorbildern: auch und gerade in der Politik. „Norwegen hat es uns vorgemacht, dass auch MinisterInnen sagen können: Feierabend, ich muss meine Kinder betreuen, ohne dass das Land davon untergeht“, meint Sibyll Klotz, frauenpolitische Sprecherin der Berliner Grünen-Fraktion. Doch hierzulande gehöre zu einer politischen Karriere eben auch „ständige Verfügbarkeit“. Auch Susanne Ahlers verweist auf Skandinavien: Schweden habe das Gleichstellungsproblem mit einer Arbeitszeitverkürzung für alle gelöst. Eine Lösung, die heute in Deutschland sogar auf Gewerkschaftsfluren nur noch geflüstert wird. „Es gibt eben harte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Staatssekretärin Ahlers. Da kann von einer tiefgreifenden Umverteilung bezahlter Arbeit nur geträumt werden – durchsetzbar scheint sie nicht.

Und so werden wohl auch im nächsten Jahr die Flotte Lotte, Kobra, Frieda und die Raupe über Frauenpolitik diskutieren. Evrim Baba, frauenpolitische Sprecherin der PDS, schlägt Optimismus vor: „Immerhin haben wir es geschafft, die von Finanzsenator Sarrazin im Bereich Frauenprojekte geplanten Kürzungen im aktuellen Haushalt von vier Millionen auf 300.000 Euro zu begrenzen.“ Die Projektelandschaft sei damit um weitere zwei Jahre abgesichert. Und was die Gleichstellung betrifft: Klar, sagt Baba, wenn wir die Männer da stehen lassen, wo sie jetzt sind, dann können wir noch lange über Gleichstellung reden. Doch 2490 hält sie für übertrieben: 100 Jahre reichen, schlägt sie vor.