: Zwei Grüne im Afrikanischen Viertel
WAHLKAMPF Özcan Mutlu und Clara Herrmann fordern ein anderes Erinnern an den Kolonialismus
Fast 40 Menschen bilden auf einem Bürgersteig im Afrikanischen Viertel im Wedding einen unförmigen Kreis. „Hier ist die Petersallee“, deutet Kwesi Aikins auf das verschmutzte Straßenschild am Ampelmast. Die Gruppe legt den Kopf in den Nacken, blickt dann wieder zum Stadtführer. „Dieser Straßenname ehrt Carl Peters, einen der grausamsten Kolonialverbrecher aus Deutschland“, betont Aikins. Carl Peters sei glühender Verfechter des Kolonialismus gewesen, ein Antisemit, Rassist und Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. „Und jetzt kann man hier in der Petersallee wohnen.“ Aikins schüttelt den Kopf. Die Nazis hätten dem Kolonialisten 1939 eine Straße im Afrikanischen Viertel gewidmet.
Nun meldet sich Özcan Mutlu zu Wort. „Auf der Zusatztafel am Straßenschild wird aber nicht Carl, sondern Prof. Dr. Hans Peters genannt“, sagt Mutlu. „Korrekt“, antwortet Aikins. Schon in den achtziger Jahren hätten sich Anwohner gegen den Straßennamen aufgelehnt. Die Stadt habe reagiert und die Straße einem Mitglied des Kreisauer Kreises umgewidmet – ebenjenem Hans Peters. „Doch das war nur ein halbherziger Versuch“, kritisiert Aikins.
Das Afrikanische Viertel bewegt noch immer die Gemüter. Deshalb haben Mutlu, der für die Grünen in Mitte für den Bundestag kandidiert, und Clara Herrmann, die entwicklungspolitische Sprecherin der Partei, am Montag einen Rundgang durch das Quartier organisiert. Sie wollten damit, wie es in der Einladung wörtlich heißt, eine „Erinnerungspolitik des deutschen Kolonialismus gestalten, die frei von Geschichtsvergessenheit und Diskriminierung ist“.
Kwesi Aikins von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und Christian Kopp vom Verein Berlin Postkolonial führen die Gruppe und erläutern die historischen Hintergründe zu Straßennamen und Architektur. In dem Viertel, das sich südlich der Müllerstraße vom U-Bahnhof Seestraße bis zum U-Bahnhof Afrikanische Straße erstreckt, befinden sich 22 Straßen, die sich mit ihren Namen auf die deutsche Kolonialzeit beziehen. „Das Viertel ist eine der größten Erinnerungsstätten zum deutschen Kolonialismus“, erklärt Aikins. „Allerdings ein sehr subtiler Ort.“ Es gibt keine Monumente, keine Erklärungsschilder – nur die Straßennamen und seit letztem Sommer eine Info-Stele.
„Diese Betrachtung der Kolonialgeschichte ist zu wenig kritisch“, klagt Aikins auf dem Spaziergang, der von der Swakopmunder Straße über die Mohasistraße führt, von der Togostraße zum Nachtigalplatz, dann über die Petersallee durch die „Dauerkolonie Togo e. V.“ zur Lüderitz- und Otawistraße. Aikins setzt an den verschiedenen Stationen zur Erklärung an. Kopp ergänzt und reicht laminierte Fotos herum.
Özcan Mutlu spricht im Anschluss von einer gelungenen Veranstaltung. Dann muss er sich schnell verabschieden, um das Gesundheits- und Pflegezentrum Goldenherz zu besuchen. Clara Herrmann scheint der Termin eher am Herzen zu liegen: „Entwicklungspolitik spielt auch auf Landesebene eine sehr große Rolle. Wir haben uns noch nicht kritisch genug mit unserer kolonialen Vergangenheit auseinandergesetzt.“ MILENA MENZEMER