: Bessere Zeiten für Hochstapler
DIAMANTEN In Cannes rauben Ganoven Juwelen im Wert von 100 Millionen Euro. Und schaden damit dem Ansehen der Diebe. Wo bleibt die Eleganz eines Cary Grants?
VON JÖRG SUNDERMEIER
Am Sonntag wurde Cannes erneut Schauplatz eines spektakulären Juwelenraubs. Bei einer Show des Diamantenhändlers Lev Leviev, auf der besonders edle Stücke ausgestellt wurden, erschien kurz vor zwölf Uhr mittags ein bewaffneter Mann, der mit einem Koffer voller Steine floh und so einen Schaden von rund 100 Millionen Euro verursacht haben soll.
Bereits im Mai waren, ebenfalls in Cannes, die Zimmer eines Mitarbeiters der Schweizer Schmuckfirma Chopard von Dieben heimgesucht worden, während der Filmfestspiele, hier allerdings fiel die Beute mit einem Marktwert von rund anderthalb Millionen ungleich geringer aus.
Im Mai fühlte sich die Filmstadt an den Hitchcock-Film „Über den Dächern von Nizza“ mit Cary Grant und Grace Kelly von 1955 erinnert, nur wissen wir nicht, ob der Täter, die Täterin oder die Täter so elegant wie Cary Grant waren. Auch liegt es nahe, an die diversen „Pink Panther“-Filme zu denken, in denen Capucine und David Niven die Meisterdiebe gaben. Aber an Filme aus den 90er Jahren?
Niemand dachte daran, der alte Sean Connery oder Pierce Brosnan spielen die Eleganz viel mehr, als dass sie sie verkörpern. Das Ansehen der Diebe hat gelitten in den letzten Jahren, und bei ausgeklügelten Coups, in denen ohne Blutvergießen groß geräubert wird, muss man bis in die 50er Jahre zurückgehen, um passende Vergleiche zu finden. Oder in das frühe 20. Jahrhundert, als Georges Manolescu als „Ein Fürst der Diebe“ (wie seine Memoiren hießen) gelten konnte und andere Hochstapler, wie etwa Wilhelm Voigt, der „Hauptmann von Köpenick“, hohes Ansehen in der Bevölkerung genossen. Doch die Zeiten ändern sich wieder, für Diebe und Hochstapler wird alles besser. Denn in Tagen, in denen die Reichen und Schönen ihr Geld für „Mondwasser“ und luxuriöse Klimarettungsautos ausgeben und die Armen sich an der Geburt eines kleinen Prinzen erfreuen, der ihre Alltagssorgen vergessen machen soll, in Tagen schließlich, in denen die Big-Data-Freunde alles über unser Sexleben wissen, aber verwundert feststellen müssen, dass sich Diebe nur selten auf Facebook outen, in diesen Tagen wird es angenehm für kluge Kriminelle.
Und wir brauchen sie für unsere Gesellschaftsordnung! Erst der falsche Prinz, der das Hotelpersonal genauso narrt wie die Prinzessinnen, erst der Juwelendieb, der mit den Gegebenheiten vertraut und dennoch ein Alien ist, erst diese Menschen geben Titel und Diamanten den Wert, die sie für die Reichen und Schönen haben. So wie erst das Verbrechen Gerechtigkeit schafft, bestätigen diese Gentleman-Diebe unsere Weltsicht – was wäre der Diamant wert, würde ihn niemand mehr stehlen wollen?
Zudem macht solcher Diebstahl die Filme glamouröser, die Welt giert nach Memoiren von anständigen Unmoralischen, wir wollen Cary Grant zurück, als geschmeidiger Dachfirstkletterer mit schönen Augen. Zudem – nur der Dieb glaubt heutzutage, da es das revolutionäre Subjekt nicht mehr gibt, an das Glücksversprechen. Auch er freut sich über Thronfolger und aberwitzige Auktionspreise. Ihm sind sie Anlass für Taten.