Rettendes Dadudu

Fast hätten Scooter in der Columbiahalle gelangweilt. Doch dann tat H. P. Baxxter etwas H.-P.-Baxxterhaftes

Scooter sehen und glücklich sein, tage-, wochenlang. Maximale Immersion in schönste Erwartbarkeit, Wahnsinnssynthese aus Unterhalten-Werden, Nicht-denken-Müssen, Feierzwang – so sollte das sein. Schon in der Schlange vor den Toren der Columbiahalle schien alles aufzugehen. Einmütig entquoll den Kehlen der Wartenden die Hookline des 2003er Hit „Maria (I Like It Loud)“, die sich so transkribieren ließe: „Du, du, du, dudu, du, du du – dadu di du, dada du du du.“ Man schien des fußballerisch Stadionesken willig, die Halle war voll, der neonleuchtenden Kreolen in Ohren gab es genug. Gut.

Scooter im Jahr 12 ihrer Bühnenexistenz, das ist immer noch die erfolgreichste deutsche Band ever. Ihre Letztveröffentlichung „Who’s Got The Last Laugh Now“ ist ihr zwölftes Album, was auf den irren Schnitt von einem Album pro Jahr hinausläuft. „Hyper, Hyper“, die erste Single von 1994, bleibt zwar in Sachen Verkaufszahlen ungeschlagen, aber alle nachfolgenden 31 Singles stiegen ebenfalls in die Top 50 der Charts ein.

Zu einem Scooter-Konzert kommen Menschen, die Profis sind im Entertaint-Werden. Familien in Allwetterjacken, sehr gebräunte Teneriffa-Seniorinnen, Sweatshirt-Jungs und Spaghettitop-Mädchen, Männerrunden im Modus „Junggesellenausstand“ und heiter karoberockte Schottengruppen. Nicht, dass hier jemand den willfährigen Konsumenten vermutet. Nein, eines lernte man im Laufe des Abends: So leicht ein Scooter-Fan zu begeistern ist, so leicht wird er auch fahnenflüchtig, so gnadenlos gelangweilt bewegt er dann sein Cheerio-Gesicht einfach gar nicht mehr und verstrahlt stumm seine Botschaft: „Ich werde nicht unterhalten.“

Dabei machten Scooter zunächst nichts falsch: Eine große Pappmachéfaust fuhr unter der Bühnendecke nach vorne und richtete langsam den Mittelfinger auf. Dazu durchzuckte eine Lasershow die Halle, wie sie seit 1999, als die Cinemaxxen noch dachten, so sähe großes Kino aus, nicht mehr gesehen wurde. Die beiden Synthesizer-Bediener Rick J. Jordan and Jay Frog erklommen ihre Geräteburgen und ließen fortan das Duracell-Hüpfen nicht mehr sein. Frontmann H. P. Baxxter riss seinen Mund gewohnt weit auf und rülpste sein viriles „Yeah!“ ins Mikrofon. Dass er sich mal für den „Horseman“ und mal für den „Candyman“ hält und es ansonsten „good to be back“ findet, ist eh klar. Was sollte sich auch ändern? Das Gute an Scooter ist ja, dass sich nichts ändert. Um die überzeitliche Erkenntnis eines Kollegen zu zitieren: Scooter halten einfach stur und unbeirrt an ihren hoffnungslos unoriginellen Stilmitteln fest, sie haben ausgefeilt und verdichtet, bis schließlich vor lauter angehäufter Quantität eine neue Qualität erreicht war, und zwar die Qualität des Klassischen.

Das Klassische an Scooter-Musik hat mittlerweile eine bibliotheksfüllende archivarische Dimension erreicht. Ein Scooter-Konzert ist die konzertante Aufführung des kollektiven Pop-Gedächtnisses der letzten 30 Jahre: Becks Loser wird zum Raver, Marc Cohn ravt durch Memphis und Dee D. Jacksons „Automatic Lover“ will mal wieder berührt werden. Von Disco über Alternative und Liedermacherei zu Mittneunziger-Großraumtechno ist kein Genre vor Scooter-Einverleibung sicher – und das ist schön, dreist, respektlos und postmodern.

Und trotzdem patzten Scooter in der ersten Konzerthälfte. Niemand brauchte den mit schweren Ketten und Irokesenschnitt ausgestatteten Luft-Gitarristen, niemand auch warf trotz massiver Aufforderung „bras and panties“ auf die Bühne, niemand kreischte hysterisch, als H. P. „I wanna fuck!“ brüllte und dazu liegend auf der Bühne koitale Bewegungen vollführte. Und als er sich dann an Depeche Modes Ballade „Stripped“ versuchte, kollabierte die Chose vollkommen in Klangmatsch und gänzlicher sängerischer Inkompetenz, die H. P. kopfschüttelnd sogar selbst zu bemerken schien. Als er darauf den beiden Tänzerinnen gefühlte 20 Minuten Zeit ließ, um eine dämliche Strip-Show aufzuführen, war der Ofen aus. Das Unfassbare war geschehen: Scooter langweilten! Das Ende einer Ära kündigte sich an.

Aber dann unternahm H. P. Baxxter etwas H.-P.-Baxxterhaftes: Er tauschte das Glitzer-Tiger-T-Shirt gegen ein Glitzer-Totenkopf-T-Shirt, kam wieder und holte sich mit „Maria“ („du du du, didu“ etc.) Gunstpunkte zurück. Danach einfach nur noch Greatest Hits – und alles lief glatt: „Jigga Jigga“, „Faster Harder Scooter“, die grandiose Maffay-Verballhornung „Nessaja“. Und schließlich das herrlichste, bravouröseste Scooter-Stück der Weltgeschichte, das alle, einfach alle, für drei Minuten sicher sein ließ, extrem hardcore zu sein, und zwar always.

Zwei Fragen blieben nach diesem Abend: Wann bekommen Scooter einen eigenen Musical-Dome für ständig? Und: Was machen eigentlich die Leute mit diesen Handy-Filmen, die sie die ganze Zeit über filmen?KIRSTEN RIESSELMANN