WOLF-DIETER VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Ausgewogen vorlesen in Havanna
Ortstermin auf der Buchmesse in Havanna. Buchvorstellung in der „Cabaña“, jener Hafenfestung, zu der jährlich tausende Kubaner pilgern. Bücher sind im karibischen Sozialismus zwar günstig, aber das Angebot in den Läden ist bescheiden. Wer sich also nicht mit dem 500. Werk über Ches revolutionäre Abenteuer oder Fidels neuesten Texten zufriedengibt, kommt hierher. Und das sind viele.
Auch die Präsentation des Buches „Regresé siendo otra persona“ – „Ich kam als anderer Mensch zurück“ stieß auf großes Interesse. Selbst der deutsche Botschafter und ein Abgesandter des Zentralkomitees waren gekommen, um die Geschichten von zwölf Kubanerinnen und Kubanern zu hören, die als Arbeiterinnen oder Studierende ein paar Jahre in der DDR verbracht hatten. Es geht um Erlebnisse aus einer vergangenen Welt, die ich im Auftrag der Luxemburg-Stiftung festgehalten habe: um deutsch-kubanische Liebschaften und Plansollerfüllung, um alte Nazis und junge Wendehälse.
Bemüht um Fairness sprach ich vom repressiven DDR-Sozialismus ebenso wie vom wilden Kapitalismus. Das kam nicht überall gut an. Zwar berichteten alle Medien positiv, der Kollege vom ZK dagegen notierte eifrig jedes Wort. Auch in deutschen diplomatischen Kreisen war man nicht nur glücklich. Das war ich gewohnt. Bereits in Mexiko, wo ich das Buch zuvor vorgestellt hatte, empfahl der Botschaftsvertreter den Zuschauern eine Deutschlandreise, um sich davon zu überzeugen, dass alles nicht so schlimm sei, wie der Autor berichte.
Später suchten wir einfacheres Terrain. Traditionsgemäß wird in Kubas Tabakfabriken vorgelesen, während die Arbeiter Zigarren rollen. Und so lasen meine Kollegin und ich von der ersten Liebesnacht eines Kubaners in Berlin-Treptow. Wir ernteten heftigen Beifall. Zugegeben: wir waren vorbereitet. Politik interessiere die Leute nicht, hatte uns die Vorleserin gewarnt. Wenig später ging sie in die Halle, um wie jeden Tag aus der Parteizeitung Granma vorzulesen.
■ Der Autor war Korrespondent der taz in Mexiko Foto: privat