Braucht der Fußball eine Friedens-bewegung?
Ja

GEWALT Vergangenes Wochenende haben Anhänger von Hertha BSC im Stadion randaliert. Vor allem in unteren Ligen kommt es regelmäßig zu Ausschreitungen von Hooligans. In den letzten Jahren häuft sich Gewalt in und um die Fußballstadien

Sven Brux, 44, Sicherheitschef und Urgestein des berüchtigten Hamburger Fußballvereins FC St. PauliVor 30 Jahren hat sich die Friedensbewegung zwischen zwei aufrüstende Großmächte geworfen und lauthals gerufen: „Jetzt reicht’s, ihr Irren!“ Genauso braucht es heute vernünftige Menschen mit der Fähigkeit zur fairen Analyse, die den schlingernden Fußballzug wieder aufs Gleis heben. Bei vielen Ultras bestimmen der Style und ein fragwürdiger Ehrbegriff im Zusammenspiel mit pubertierendem Revierverhalten das Handeln. Auf der Gegenseite sehen Repressionsfanatiker wie Herr Wendt von der Polizeigewerkschaft (siehe unten) als einzige Instrumente gegen Gewalt immer nur Verbote und die Verbannung von Fans. Beide Seiten spielen sich gegenseitig Steilpässe zu. Und am Ende freuen sich diejenigen im stillen Kämmerlein, die den Fußball schon lange als durchkommerzialisiertes Popcorn-Event etablieren wollen. Der Fußball, wie ihn Millionen seit Jahrzehnten lieben, wäre dann aber tot und hinterher will mal wieder keiner was geahnt haben. Also: Mund vom Schaum befreien, hinsetzen, praxisorientierte Lösungen suchen (Achtung: Die könnten Geld kosten!). Um es mit dem alten John zu sagen: Give football a chance!

Rainer Wendt, 53, Polizeihauptkommissar und Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG)

Nach den schlimmen Krawallen in Berlin gehört erst mal alles auf den Prüfstand. Was wir brauchen, ist eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit gewaltbereiten Stadiongängern. Die überwiegende Zahl der Fußballanhänger ist friedlich, und die Vereine haben in den letzten Jahren viel in Fanprojekte investiert. Aber der DFB muss sich fragen, ob es nicht auch Aktionismus ohne Sinn gibt, wenn Geld für Bastelstuben von Ultra-Fans ausgegeben wird. Eine Wirkungsanalyse der Fanmaßnahmen ist dringend angebracht. Wir benötigen auch endlich den namentlichen Ticketverkauf in allen Fußballstadien. Damit wären potenzielle Gewalttäter schon mal registriert. Kombiniert mit einer ordentlichen Videoüberwachung können so Randalierer schnell und wirksam rausgezogen werden. Dass dem Stadionverbote folgen müssen, versteht sich von selbst. Wir müssen auch prüfen, ob bestimmte Bereiche im Stadion gesperrt werden sollten. In die Kurven, wo sich häufig Gewalt hochschaukelt, gehören keine Fans. Wir, die DPolG, stehen jederzeit bereit zu Gesprächen mit allen Fußballverantwortlichen. Nicht zuletzt sind es auch unsere Polizistinnen und Polizisten, die Woche für Woche ihre Gesundheit in den Stadien riskieren.

Jörg Steinert, 28, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg

Kürzlich hielt ganz Fußballdeutschland inne und lauschte aufmerksam, als DFB-Präsidenten Theo Zwanziger sagte: „Fußball ist nicht alles.“ Vor einer Woche dann die Randale im Berliner Olympiastadion. Fußball von seiner hässlichen Seite. In keiner anderen Sportart scheint es so viel gegenseitige Verachtung und Gewalt zu geben. Durch dominantes und rücksichtsloses Verhalten wollen vermeintlich starke Kerle auffallen. Vor allem ein archaisches Männerbild und homophobe Einstellungen liefern den Nährboden für solch respektloses Verhalten. Bestes Beispiel hierfür ist Rudi Assauer, der schwulen Fußballspielern jüngst empfahl, sich einen anderen Sport zu suchen. Es wird zwar zunehmend nicht mehr toleriert, dass schwarze Spieler mit Affengeräuschen verunglimpft werden. Aber das Outing eines Bundesliga-Spielers scheint noch unmöglich. Zu groß ist die Angst vor Anfeindungen, zu ungewiss die Solidarität der vernünftigen Mehrheit. Aber es geht auch anders: Seit fünf Jahren kicken hetero- und homosexuelle Fußballer bei den Respect Gaymes. Schwule Fan-Clubs haben sich ihren Platz in den Zuschauerrängen erkämpft. Und Hertha BSC wurde kürzlich Mitglied im Berliner Bündnis gegen Homophobie. Nun ist es an der Zeit für einen Ruck: Wir brauchen eine Friedensbewegung für ein modernes Männerbild im Fußball.

Nein

Ralf Zänger, 48, tätig in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte und im Fanprojekt Bochum

Es geht doch in der ganzen Diskussion um Fußball, nicht um Krieg. Eine Friedensbewegung brauchen wir deshalb wirklich nicht. Natürlich kann man Vorfälle wie am vergangenen Wochenende in Berlin nicht gutheißen. Aber wir haben in Deutschland inzwischen ein flächendeckendes Netz an Fanprojekten, es sind insgesamt 44 von der Ersten bis zur Fünften Fußballliga. Die Projekte sind untereinander sehr gut vernetzt und haben professionelle Strukturen. Es gibt sehr viel Austausch mit den Fans und mit der Polizei, auch immer aktuell an den Spieltagen. Kritik, wie sie Herr Wendt von der Polizeigewerkschaft an den Fanprojekten äußert, ist einfach unverschämt. Von der Gewerkschaft hat sich noch niemand bei uns erkundigt, ich glaube, die wissen gar nicht, was wir tatsächlich leisten. Die Fanprojekte machen sehr viel Prävention, und zwar auf Grundlage des „Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit“, das der DFB zusammen mit den Vereinen und den Behörden ausgearbeitet hat und das ständig weiterentwickelt wird. Dass es trotz aller Prävention Ausschreitungen gibt, ist tragisch. Aber man darf nicht gleich in Hysterie verfallen, denn Gewalt gibt es in der ganzen Gesellschaft, nicht nur beim Fußball. Wir erreichen nicht jeden mit unserer Präventionsarbeit, und nicht jeder will sich erreichen lassen. Die Fanszenen der jeweiligen Vereine stehen nun in der Pflicht, für den Erhalt der Fankultur im Fußball zu kämpfen.

Sarah Beckmann, 30, Sportmoderatorin des Fernsehsenders RBB (Region Berlin-Brandenburg)

Nein, das halte ich für übertrieben. Natürlich verurteile ich Gewalt und Aggression. Die Ausschreitungen am vergangenen Wochenende im Olympiastadion haben mich schockiert und ich plädiere für konsequente Strafen. Aber eine Friedensbewegung ist in meinen Augen nicht die richtige Maßnahme. Emotionen sind gut und gehören zum Sport dazu. Man muss die Fans von Hertha BSC verstehen: Sie warten seit August auf einen Heimsieg und sehen hilflos mit an, wie die Mannschaft, der sie jedes Wochenende Freizeit widmen, sie Woche für Woche enttäuscht. Wer mühsam erarbeitetes Geld in eine Dauerkarte investiert, kann durchaus wütend werden, wenn überbezahlte und verwöhnte Fußballmillionäre schwach, egoistisch oder lustlos spielen, statt für ihren Verein zu kämpfen. Da verstehe ich bei den Fans jeden Frust und jede Wut, jeden Pfiff und jede Träne. Die wenigen, die im Frust Grenzen überschritten haben und sich nicht zu benehmen wissen, sollten knallhart aus allen Stadien ausgeschlossen werden. Für alle anderen braucht es keinen Friedensgipfel, denn gerade wegen der Emotionen ist Fußball so begeisternd und bewegend.

Ina Weigelt, 29, Sozialwissenschaftlerin und Autorin des Buchs „Die Subkultur der Hooligans“

Fußballgewalt ist ein vielschichtiges Problem. Wer glaubt, die Ursache allein im Sport finden zu können, irrt sich genauso wie jene, die glauben, dass die Gewalttäter im Stadion nicht an Fußball interessiert sind und nur wegen der Randale da sind. Auch sollte man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass nur ein Bruchteil der Fußballfans grundsätzlich gewaltbereit ist. Und diese spezifische Gruppe erlebnisorientierter Fans weist gerade die sozialen und psychischen Merkmale auf, die für junge delinquente Männer typisch sind. An diesen inneren und äußeren Faktoren muss die Arbeit mit gewalttätigen Fußballanhängern ansetzen. Daher erscheint es mir wenig erfolgversprechend, von außen eine „Friedensbewegung“ in diese Subkultur hineinzutragen. Zumal die Menschen darin ihr Verhalten nicht als problematisch empfinden. Es sollten jene gestärkt werden, die sich darum bemühen, dass die Szene sich intern mit dem Gewaltproblem auseinandersetzt und eigene Wege der Bewältigung findet. Die Ultra-Bewegungen versuchen sich mitunter aussichtsreich an diesem Unterfangen.